Marie Spaemann I Christian Bakanic – Metamorphosis

Eine beeindruckend unkonventionelle, poetische Klangsprache:

Ein Cello, eine Stimme, ein Akkordeon. Reduktion aufs Wesentliche, auf natürliche Klänge.

Das virtuose Duo aus Wien beherrscht seine Instrumente meisterhaft und lässt deren lange, weit verästelte Geschichte in Details aufleuchten. Wesentlich für die Musik von Marie Spaemann und Christian Bakanic ist jedoch, wie elegant und gleichzeitig entschlossen sie verschiedene Traditionen als Sprungbrett für eigene Ideen nutzen. Ihre individuelle Stilfusion trägt einerseits wunderbar feinsinnige kammermusikalische Züge. Andererseits bietet sie mit klaren Melodien, ansteckenden Rhythmen und dem Soul in Spaemanns variabler Stimme Anknüpfungspunkte für Pop-Fans. Wenn dann noch Spielarten von klassischer Moderne, Ideen des Tango Nuevo, des europäischen Folk und Jazz hinzukommen, entsteht eine beeindruckend unkonventionelle, poetische Klangsprache.

Seit rund drei Jahren spielen Marie Spaemann und Christian Bakanic zusammen, nachdem sie sich bei einem Engagement in einer anderen Band kennengelernt hatten. Ihre Konzerte riefen bereits einige Resonanz hervor, umso mehr ihre eigenen Produktionen. Schon vor einer guten Weile schrieb Eva Schulz in der österreichischen Kleine Zeitung: „Dass das Akkordeon in den letzten Jahren sein Image radikal verbessern konnte, ist nicht zuletzt Virtuosen wie Christian Bakanic zu verdanken.“ Die FAZ stellte Ende 2019 fest: „so radikal wie die Wienerin Marie Spaemann […] hat wohl noch niemand das Cello für Popmusik genutzt.“

Mit Metamorphosis erscheint nun das Debütalbum des Duos. Auf ihm verwandeln Spaemann und Bakanic ihre unterschiedlichen Einflüsse zu einer tiefgründigen Einheit. Beide brachten Stücke mit, zu denen sie gemeinsam neue Arrangements entwickelten. Die Feinarbeit ging oft so weit, dass scheinbar bereits fertige Kompositionen plötzlich ein anderes, unerwartetes Gesicht bekamen.

Auch das Stück Metamorphosis, wie alle anderen gesungenen Titel aus Spaemanns Feder, erhielt so eine weitere Bedeutungsebene. „Es passt sehr gut zu unserer Entwicklung als Duo“, sagt Bakanic, „deswegen haben wir nach ihm auch das Album benannt.“ Spaemann ergänzt: „Wie die Musik befand sich auch unser Zusammenspiel in den ersten Jahren in einem ständigen Prozess der Veränderung. Unsere vielen Einflüsse verschmelzen nach und nach zu etwas Gemeinsamen, gleichzeitig bleibt alles in sich wandelbar. Unsere musikalische Entdeckungsreise, weg von den ursprünglichen Schubladen hin zu unserem eigenenen Stil, ist noch nicht zu Ende.“

Eine essentielle Rolle spielt dabei der Klang. Genauer gesagt die enorm vielen Klangfarben, die Cello und Akkordeon zu entlocken sind, wenn sie von echten Könnern gespielt werden. „Wir möchten einfach sämtliche Möglichkeiten unserer Instrumente nutzen und dabei die akustische Ästhetik bewahren“, beschreibt das Duo seinen roten Faden für das Album. Die Intimität des natürlichen, klaren Sounds bezaubert – und ist genauso auch live umsetzbar. Zudem begeistert und verblüfft das Duo immer wieder mit subtilen Kontrapunkten. Beispielsweise eingangs von Oscar’s Dream, dem Aufmacher des Albums, wo sprunghafte oder kantige Motive des Akkordeons rhythmische Akzente setzen, während lange Töne des Cello und der Stimme eher (atmo)sphärisch wirken. „Das Stück vertont ein imaginäres Abenteuer“, erklärt Bakanic, „ich habe meinem zweijährigen Sohn beim Schlafen zugeschaut und mir vorgestellt, wie er träumt, auf einem Adler durch die Lüfte zu segeln.“

Der Titel des folgenden, mit zurückhaltender Soul-Emphase gesungenen Butter Tango ist ein wenig trügerisch, denn die Musik zeigt keine direkten Bezüge zu dem südamerikanischen Stil. Tatsächlich steht Tango hier vor allem symbolhaft für jene sprichwörtliche Leidenschaft und Freiheitsliebe, die von jeher mit ihm verbunden wird. „Der Song kreist in seiner Essenz um einen Menschen, der seine innere Freiheit vergisst“, fasst Spaemann zusammen. Die Musikerin stammt aus einer Philosophenfamilie, das schimmert in vielen ihrer Songtexte durch. Etwa in Metamorphosis, wo die Göttin Europa auf ihren Kontinent blickt und ihm sagt, was er aus ihrer Sicht braucht: „a love that already knows what the heart’s not singing yet“. Humorvoll nähert sich Spaemann der um sich greifenden Tendenz zur Selbstüberschätzung (Hybris) oder sinniert über die Verführungskünste der Inkonsequenz. Nachdenklich reflektiert sie über verschiedene Perspektiven, die das Zusammenleben kompliziert machen können (Shadow). Dass die Lösung letztlich stets in Verständigung liegt, signalisiert das utopische letzte Stück des Albums, Mellow D’s. Spaemanns künstlerische Antithese zu Spaltung und Abgrenzung verbindet das traditionelle arabische Liebeslied Chehilet Laayani und das israelische Friedens-Volkslied Shalom Chaverim; die Tonart d-Moll eint die kraftvollen Melodien.

In ihren musikalischen Achterbahnfahrten lassen Spaemann und Bakanic sämtliche Stereotypen ihrer Instrumente hinter sich. immer wieder steigern sie sich lustvoll in flinke, ausgefuchste Unisoni;

Marie Spaemann zaubert ebenso zarte wie harsche Töne aus dem Cello, wechselt von obertonreichen Passagen über trockene Pizzicati bis zu kratzig-schabenden, fast schon rockigen Stakkati. Christian Bakanic brilliert mit mäandernden Linien und weiten Assoziationen, suggeriert subtile bis schwelgerische Stimmungen, erinnert in Milonga Lenta sogar stellenweise an Astor Piazzollas klagendes Bandoneon und kreiert in Pentango einen eigenwilligen Tango im 5/4-Takt. Bisweilen fügt das Duo auch „Beats“ hinzu, durch Schläge auf das Holz des Cellos oder auf eine Cajon. Über allem schwebt Spaemanns oft relativ dunkler, volltönender Gesang, der sich mühelos auch in höhere Register schrauben kann und der zwischen zurückhaltender Erzählhaltung, rhythmischen Phrasierungen (inklusive Spoken Word-Anklängen) und insistierenden Zuspitzungen changiert. Souverän und beseelt kreieren Marie Spaemann und Christian Bakanic auf Metamorphosis einen persönlichen Musikklang, der ein großes Publikum erreichen und berühren kann.

Kurzbiografien:

Seit Jahren bewegt sich Marie Spaemann (*1988) gleichermaßen in der ernsthaften Klassik wie in Pop und Jazz. Als Solo-Cellistin spielte sie beispielsweise mit der Norddeutschen Philharmonie das  Cellokonzert op. 37 von Erich Wolfgang Korngold, jenem österreichisch-amerikanischen Komponisten, der von 1935 bis ’45 Hollywoods Filmmusik fundamental beeinflusste. Mehrfach trat Spaemann im Konzerthaus Wien sowie (unter dessen Ägide) in Manhattan auf, ebenso beim Sommerfestival Dubrovnik, bei Puplinge Classique (Genf) und dem südkoreanischen Festival Classic Garden. Andererseits arbeitete sie als Sängerin mit dem österreichischen Elektroswing-Produzenten Dunkelbunt, ging 2016 mit dessen Band sowie als deren Solo-Support auf Tournee. Parallel dazu spielte sie rund zwei Jahre bis 2017 Cello bei dem Jazz-Querdenker Christoph Pepe Auer, wo sie Christian Bakanic begegnete. Zuletzt war Marie Spaemann Solistin in der Bühnenproduktion The World Of Hans Zimmer.

-Christian Bakanic wurde 1980 in Welten im südlichen Burgenland geboren. Er wuchs mit Volksmusik bei Feuerwehr- und anderen Festen auf, schon sein Großvater spielte Akkordeon. Mit 14 kam er nach Graz; davor hatte Bakanic bereits begonnen zu improvisieren und aus traditionellen Walzern und Polkas eigene Stücke zu kreieren. Er studierte u.a. an der Kunstuniversität Graz und spielte in den folgenden Jahren in eigenen Formationen (Folksmilch, Beefolk, Trio Infernal u.a.) sowie an der Seite namhafter Jazzer wie Wolfgang Muthspiel, Heinrich von Kalnein, Gwylim Simcock, Jon Sass u.a. Seit zehn Jahren lebt er in Wien und erhält auch Kompositionsaufträge für diverse Theaterproduktionen.

Preiser Records PR91495 / 717281914956 / Vertrieb: NAXOS

Veröffentlichung: 20. November 2020

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