Wawau Adler – I Play With You
Er richtet sich damit natürlich an seine geschätzten Fans und Hörer, wenn der große Gypsy-Swing-Gitarrist Wawau Adler sein neues Album „I Play With You“ nennt. Er könnte damit aber auch ganz konkret sein Instrument meinen. Wechselt er doch spielerisch zwischen der Selmer Nr. 828, einer klassischen Gitarre aus den Vierzigerjahren, über moderne Typen bis zur elektrischen Gitarre. Schließlich könnte der Titel aber auch auf das Repertoire beziehen, mit dem hier gespielt wird: Nachdem Adler bei seinen früheren Einspielungen vorwiegend Standards interpretiert hat – sein letztes, vor zwei Jahren erschienenes Album „Happy Birthday Django 110“ war ja zum Beispiel explizit seinem und dem großen Vorbild aller Gypsy-Jazzgitarristen Django Reinhardt gewidmet – und jeweils nur wenige Eigenkompositionen einstreute, ist es jetzt erstmals genau umgekehrt.
Mit seinen eigenen Songs kann man bei „I Play With You“ jetzt also den ganzen Wawau Adler kennenlernen. Den, der nie seinen Manouche-Wurzeln verleugnet, aber seinen eigenen Stil daraus abgeleitet und ihn wie wenige seiner Generation seit jeher auf den ganzen Jazz übertragen hat. War doch Biréli Lagrène für den 1967 in Karlsruhe geborenen Josef „Wawau“ Adler mit zwölf Jahren der erste prägende Einfluss. Jener Gitarrist also, der vielen gerade deshalb als legitimster Nachfolger Django Reinhardts gilt, weil er den Urvater des Hot Jazz und Gypsy Swing nie einfach nachspielte, sondern auf seine Art weiterentwickelte und auf die modernen Jazzstile übertrug. Und Adler tat und tut es ihm gleich.
Schon auf Adlers erstem Album „With Body And Soul“ von 1991 kann man hören, wie er sich Bebop und Fusion zugewandt hat. Zwar ging es in den Zweitausenderjahren „Back to the Roots“ (wie zwei seiner CDs aus dieser Zeit heißen), doch immer behielt er seine Offenheit. Die es jetzt auf „I Play With You“ in einer Bandbreite zu genießen gibt wie selten zuvor, und das eben vorwiegend bei eigenen Stücken. Doch bei seinem „Martinique“ etwa schlendert Wawau Adler mit eigenwilligen Harmonien und träumerischen Läufen lässig ins Karibische. Und auf Jazzy Poplair“ lässt er sich, wie es der Titel verspricht, auf den Mainstream ein und lässt die E-Gitarre mitunter fast nach George Benson klingen. Der Titelsong klingt aufregend nach einer Mischung aus romantischer Klassik und Great American Songbook. „Samoir Sur Seine“ schließlich ist ein zauberhafter Ausflug in den melancholischen Chanson.
Ein paar Standards gönnt Adler seinen Fans aber auch. Mit „Manoir De Mes Reves“ findet sich die obligatorische Verbeugung vor dem Meister Django Reinhardt im klassischen Stil. Bei „Cherokee“ indes kann man Adler Bebop-Leidenschaft heraushören. Bei Cole Porters „What Is This Thing Called Love“ steht anders als zu erwarten nicht die Ballade, sondern seine Virtuosität im Mittelpunkt. Und beim Hart/Rodgers-Klassiker „Chicago“ schließlich ist der Blues-Anteil famos.
Ob Eigenes oder Adaptionen, Adler vertraut bei „I Play With You“ wieder Begleitern mit internationalem Format. Die Basis bilden langjährige Weggefährten und Freunde: An der Rhythmusgitarre sitzt wie so oft der Franzose Hono Winterstein, einer der besten seines Fachs. In in den späten Siebzigerjahren begann Winterstein im Gino Reinhardt Trio, später spielte er unter anderem Samson und Tchaolo Schmitt, Patrick Saussois und seit 2001 oft mit Biréli Lagrène. Selbst Chanson-Star Patricia Kaas griff bereits auf seine Dienste zurück.
Seit ebenso vielen Jahren hält der deutsch-schweizer Bassist Joel Locher Adler die Treue. Er darf heute zu den seltenen Tiefton-Spezialisten im Gypsy Swing gerechnet werden, obwohl er vom klassischen Jazz kommt und extrem vielseitig ist. So begann er nach einer klassischen Ausbildung als Solokontrabassist im Jugendkammerorchester Stuttgart. Um sich dann dem Jazz in seiner ganzen Breite zuzuwenden, vom Trio der jungen Modern-Jazz-Pianistin Olivia Trummer bis zu harten Funk mit Pee Wee Ellis und Peter Fessler.
Bei „Happy Birthday Django 110“ erstmals an Bord und auf „I Play with You“ nun in tragender Rolle dabei ist Alexandre Cavaliere, ein „Protégé des späten Didier Lockwood und belgischer Wundergeiger“, wie Adler bewundernd erzählt. Was ihn bereits zu Weltstars wie Toots Thielemans, Richard Galliano oder Richard Bona geführt hat, vor allem aber zu einigen der wichtigsten Reinhardt-Erben. Hier darf er nun sogar meist den Soli-Reigen eröffnen, und er harmoniert mit Adler so perfekt wie einst Stephane Grapelli mit Django Reinhardt.
Schließlich lud Adler auch noch seinen taiwanesisch-kanadischen Freund, den Gitarristen Denis Chang ein, der sich zum Zeitpunkt der Aufnahmen glücklicherweise in Europa befand. Der junge Gypsy-Afficionado – einer der wenigen Nicht-Sinti- oder -Roma, der deren Musik und Sprache gelernt und verinnerlicht hat – durfte ob seiner technischen Qualitäten schon 2008 in New York an der Seite von Les Paul auftreten. Seit 2012 konzentriert er sich ganz auf den Gypsy Jazz, mit Wawau Adler hat er auch bereits mehrere Unterrichtsvideos gedreht. „Denis ist ein guter Freund,“ sagt Adler, „ein in der Gypsymusik-Community hochgeachteter Musiker. Er hat ein unglaubliches Gehör und eine fast schon unheimliche Fähigkeit, Musik zu lernen: Er benötigte bei ‚I Play With You‘ gerade mal einen Nachmittag für mein komplettes Repertoire.“
Alte und neue Freunde – sie alle helfen maßgeblich dabei, dass man auf „I Play With You“ den ganzen Wawau Adler entdecken darf. Den Gitarristen, der mit einer eigenen Handschrift die Tradition des Manouche Swing mit der Musik der Gegenwart verbindet. Der den Gypsy Jazz für das 21. Jahrhundert spielt.
Edition Collage EC 604-2 / GLM / LC08975 / 4014063160423 / Vertrieb: Edel
Veröffentlichung: 10.06.2022