Jonas Engel + Own Your Bownes  – Staring is Caring

Die Verkörperung des Guten im Jazz. Jonas Engels Songs atmen und pulsieren, sie schlagen überraschende Richtungswechsel ein, finden aber stets den passenden Ton und verraten Empathie für die Hörerinnen und Hörer. Vor allem aber ist ihr rigoroser Optimismus ein zuverlässiger Begleiter in einer Zeit, in der sich niemand alleingelassen fühlen will.

 

Gibt es in Krisenzeiten wie diesen nichts Wichtigeres zu tun, als Jazzplatten aufzunehmen? Man muss nur wenige Takte von „Staring Is Caring“, dem neuen Album von Jonas Engel hören, um klar und entschieden antworten zu können: Nein! Schon Albert Ayler ließ sich vor über 50 Jahren darüber aus, dass Musik die heilende Kraft des Universums ist, und genau dieser Geist zieht sich auch durch die Musik des Kölner Saxofonisten. Der spirituelle, geradezu hymnische Sog des Openers  „Zwiwwel“ vereint nicht nur die besten Momente der gesamten Jazzgeschichte dies- und jenseits des Atlantiks, sondern er trägt diese dem Horizont entgegen, um einen optimistischen Kontrapunkt zu setzen.

Die ungemein positive Überzeugungskraft von Jonas Engels Kompositionen und Umsetzungen kommt aus seiner Grundehrlichkeit. Er versucht keine Erwartungen zu erfüllen, von denen er nicht einmal weiß, ob es sie wirklich gibt, sondern lässt ganz intuitiv aus sich heraus, was ihn in seinem tiefsten Innern umtreibt. Jede Eitelkeit, jeder Hang zum musikalischen Exhibitionismus, jedes intellektuelle und physische Leistungsdenken, das wir im zeitgenössischen Jazz so oft antreffen, ist ihm völlig fremd. Aus seinen Improvisationen ergeben sich Melodien, deren zeitloser Zauber sich über alle Kategorien und Epochen hinwegsetzt. Manche Songs meint man schon beim ersten Hören seit Ewigkeiten zu kennen, so kraftvoll setzen sie sich in der spontanen Erinnerung fest, andere verblüffen durch ihre Kühnheit. Er nimmt sich die Freiheit der kompromisslosen Improvisation und gönnt sich doch den Luxus in Melodien zu schwelgen und diese ziehen zu lassen wie einen guten Tee. Das Flüchtige, aus dem Moment geboren Vorüberschwirrende ist untrennbar mit dem tiefgehend Durchdachten, unkalkuliert Immerwährenden verbunden. Beide Ebenen heben sich nicht voneinander ab, sondern durchdringen einander und werden eins.

Jonas Engels Anfänge liegen im Blasorchester, mit dessen Musik er fernab der Metropolen aufwuchs. Diese Erfahrung half ihm sicher dabei, immer den Hörer im Auge zu behalten. Schon früh hat er sich für den Jazz entschieden, dabei die Verbindlichkeit und Nahbarkeit seiner musikalischen Anfänge aber bewahrt. Er vermittelt erfolgreich den Eindruck, dass seine Musik einfach passiert. Ohne Wenn und Aber. Engel hat die wunderbare Gabe, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Er kann sich im Probenraum oder auf dem Papier noch so viel ausdenken, legt es aber in die Hände seiner Kompagnons, etwas Eigenes daraus zu machen.

Dazu braucht der Altsaxofonist natürlich die passenden Musiker. Mit Tenorsaxofonist Karlis Auzins, Bassist David Helm und Drummer Dominik Mahnig hat er drei Mitverschworene gefunden, mit denen er traumwandlerisch zu einer Einheit verschmelzen kann. Sie teilen seine Intentionen zu hundert Prozent, setzen aber trotzdem ihre eigenen Akzente. „Own Your Bones“ ist bereits das zweite Album in dieser Konstellation. Die Besetzung erinnert an das Ornette Coleman Quartet mit der Doppel-Sax-Front von Ornette und Dewey Redman, und wie ersterer versteht es auch Engel, vier individuelle Sprachen zu einem Meta-Idiom zu verdichten. Aus den Interferenzen individueller Spielweisen wird so ein holistischer Kollektiv-Sound. „Ich mag es sehr, mit der Homogenität im Klang zu spielen“, bekennt der Bandleader. „Wenn ich solo spiele, beschäftige ich mich viel mit den technischen Möglichkeiten meines Instruments. Ich komponiere auch mit diesen Techniken und versuche sie in einen Kontext zu packen, der über das rein Musikalische hinaus geht. Mir ist es wichtig, dass ich mit den Menschen, mit denen ich zusammenspiele, auch menschlich gut klarkomme.“

Der hörbare symbiotische Zusammenhalt innerhalb der Band beruht auf der einfachen Tatsache, dass Engel, Helm und Mahnig in Köln zusammen in einer WG gelebt haben. Es gelingt den drei Musikern, ihre Erfahrungen, die sie gemeinsam im Alltag der Wohngemeinschaft sammeln durften, in ihre Musik hineinzutragen. Den Letten Karlis Auzins wiederum kennt Engel seit seinem Studium in Kopenhagen, aber erst durch die Band sind sie Freunde geworden.

Alle vier Spieler zeigen auf ihren Instrumenten auch vokale und vor allem narrative Qualitäten. Gemeinsam klingen sie wie ein Chor. Das geht bei Auftritten so weit, beschreibt Engel das gemeinsame Spiel, dass die beiden Bandmitglieder, die kein Instrument im Mund haben, spontan die Melodien mitzusingen beginnen. Aus diesem Zusammenspiel ergeben sich ganz unterschiedliche Optionen. Im Opener steht wie beschrieben ganz unangefochten die Melodie im Mittelpunkt, in Songs wie „Omaria“ oder „Gaze In Grace“ geht es viel mehr um Stimmungen. Jonas Engel nimmt uns mit an Orte oder in Situationen, die er uns plastisch vor Augen führt. Das sehende Ohr wird zum Mitgestalter und letztlich auch Vollender seiner Stücke.

Man kann es auf eine ganz einfache Formel herunter brechen, die zwar wie eine Plattitüde klingt und doch zutiefst wahr ist. Jonas Engel verkörpert mit der zweiten CD seines Quartetts das Gute im Jazz. Seine Songs atmen und pulsieren, sie schlagen überraschende Richtungswechsel ein, finden aber stets den passenden Ton und verraten Empathie für die Hörerinnen und Hörer. Vor allem aber ist ihr rigoroser Optimismus ein zuverlässiger Begleiter in einer Zeit, in der sich niemand alleingelassen fühlen will.

 

www.jonasengel.com

Tangible Music / TM015 /LC82048 / 0764137108069 /

Vertrieb (CD+Digital): www.tangible-music.net/tangiblemusic.bandcamp.com

VÖ: 27.01.2023

Fotos I Cover