Tim Collins – For Good People

…In der raren Besetzung Vibrafon, Orgel und Schlagzeug, und dementsprechend in der mitreißenden Mischung aus schwerem Groove

Vom traditionellen Jazz-Kontext über Funk und afrikanische Rhythmen bis zu neoromantischen Mehldau-esken Texturen.

Es ist immer noch ein Glücksfall für die süddeutsche Jazzszene, dass es den New Yorker Tim Collins vor zwölf Jahren nach München verschlagen hat. Gehört der 45-Jährige doch zur kleinen Schar der weltbesten Vibrafonisten. Das bescheinigten ihm amerikanische Kritiker schon, als er noch in seiner Heimat mit Cracks wie Ingrid Jensen oder Aaron Parks spielte: „Collins ist nichts weniger als beispielhaft,“ schrieb etwa die New Yorker Jazz-Bibel „Downbeat“. Jenseits des großen Teichs hat er es in der Zusammenarbeit mit unterschiedlichsten Größen von John Hollenbeck oder Danny Grissett über Henning Sieverts oder Shinya Fukumori bis zu den Weltmusikern Quadro Nuevo oder der jungen Senkrechtstarterin Shuteen Erdenebataar bewiesen. Und er unterstreicht es jetzt mit seinem fünften Album „For Good People“.

Den Titelsong komponierte Collins im Herbst 2021, nachdem er vom Tod eines alten Freundes erfahren hatte. „In den vergangenen Jahren habe ich mehr als ein paar gute Menschen in meinem Leben verloren“, erzählt er. „Ich wollte ihnen Tribut zollen, aber auch den guten Menschen, die noch hier sind.“ Insbesondere unter dem Einfluss der schweren Corona-Zeit wurde das Stück deshalb zum namensgebenden Motto des Albums – jedoch ganz ohne Düsternis. „Nach der Dunkelheit der Jahre 2020 und 2021 wollte ich mit einem positiven Ansatz in die Zukunft blicken“, sagt Collins. Daher ist die Musik fast durchgehend fröhlich und beschwingt. „Das Ziel war es, Musik für meine Freunde zu schreiben und dabei so viel Spaß wie möglich zu haben. Wenn wir Spaß haben, wissen wir, dass das Publikum es auch hat.“

Seine seit vielen Jahren mit ihm, aber erstmals in dieser Trio-Besetzung spielenden Freunde, das sind in diesem Fall zunächst der 48-jährige österreichische Schlagzeuger Christian Lettner, der sein Instrument vom elften Lebensjahr an erlernte und an den Musikhochschulen in Graz und Linz studierte. Seit den späten Neunzigerjahren gehört er zu den gefragtesten europäischen Drummern, er spielte unter anderem mit Karl Ratzer, Nils Landgren, Jocelyn B. Smith, Adrian Mears, Joo Kraus, Johannes Enders oder der WDR Big Band und ist seit 2000 festes Mitglied in Klaus Doldingers „Passport“. Er ist außerdem Professor am Salzburger Mozarteum und seit kurzem auch an der Hochschule für Musik und Theater München.

Und dann der Münchner Tastenmann Matthias Bublath, wohl der wichtigste und älteste Weggefährte von Collins. Denn Bublath lebte und arbeitete nach seinem Studium in Linz, am Berklee College of Music und der Manhattan School of Music neun Jahre in New York, die beiden kennen sich bereits aus dieser Zeit. Zu Bublaths enormer Produktivität und Vielseitigkeit – er hat zum Beispiel alleine in jüngster Zeit Alben mit klassischem Klaviertrio, Solo-Piano und seiner „Eight Cylinder Bigband“ veröffentlicht – gehört, dass er ein herausragender Spezialist für die Hammond Orgel ist. Die spielt er nun auch auf „For Good People“, zu dem er überdies vier Kompositionen zu fünf Stücken von Collins beisteuerte.

So präsentiert sich „For Good People“ in der raren Besetzung Vibrafon, Orgel und Schlagzeug, und dementsprechend in der mitreißenden Mischung aus schwerem Groove, eingängiger Melodik und technisch überragenden Soli. Vom traditionellen Jazz-Kontext geht es über Funk und afrikanische Rhythmen bis zu neoromantischen Mehldau-esken Texturen. Schon im Opener „Mainline Rush“ geht die Post ab, oder besser gesagt die wilde Fahrt los. Ist Collins Stück doch inspiriert von der Liebe seiner Neffen zu Zügen und rast dementsprechend wie eine Lokomotive über die Gleise. „Trapped“ – die erste von vier Bublath-Kompositionen – ist ein Stück in ungeraden Metren Stück mit ätherischen Qualitäten. „Don’t Get Caught“ wiederum demonstriert im treibenden 3:2 Clave-Rhythmus die tiefe Verbundenheit aller drei Musiker mit der afro-kubanischen Musik, Collins hatte dabei den großen Vibraphonisten Cal Tjader vor Augen.

Weiter geht es mit „Jak’s Joint“, einer lustigen und entspannten Backbeat-Nummer, die einen an ein Late-Night-Diners mit einer Band denken lässt, die die ganze Nacht spielt. Zur Abwechslung und ausnahmsweise düster und unruhige kommt dagegen das nostalgische „Down The Old Road“ daher. „Ich dachte an die dunkle Straße in Lake George, die zu einem kleinen Haus am See führt, in dem meine Großeltern lebten. Nachts war es immer unheimlich, aber man wusste, dass in dem Haus am Ende gute Menschen auf einen warteten,“ erzählt Collins. Eine kräftige Prise New Orleans verabreicht der „Situli Shuffle“ – haben doch Collins und Bublath gemeinsam viel Zeit der Geburtsstadt des Jazz verbracht und seine reiche Musikgeschichte aufgesogen. Das vielleicht abenteuerlichste Stück des Albums ist Bublaths „Biboul Youssef“. Seine auf afrikanischen Rhythmen basierende Unisono-Melodie erinnert an Siebzigerjahre-Prog-Rock-Bands wie Yes oder Genesis – bleibt aber immer noch Jazz. Als einziger Coversong schließlich ist der Standard „Sweet and Lovely“ in einem leichtfüßigen Arrangement von Collins zu hören. „Ich liebe gute Melodien“, betont er. „Und ich denke nicht daran, Standards anders zu spielen als Originals – es geht nur darum, tolle Melodien zu spielen. ‚Sweet and Lovely‘ ist eine.“

Genau wie alle auf diesem durchwegs bezauberndem Album. Ein kleines Meisterwerk von und für „Good People“.

Tim Collins – vibraphone

Matthias Bublath – Hammond organ

Christian Lettner – drums

www.timcollinsmusic.com

GLM Edition Collage / EC 610-2 / LC08975 / 4014063161024 / Vertrieb: EDEL

VÖ: 24.2.2023       EC 610 – CD, Download & Stream

Fotos I Cover