Trieders Holz – Vertraute Orte
Poesie und Musik bilden eine Einheit, die nie aufgesetzt wirkt. Texte und Töne geben sich gegenseitig Zeit – ein Album voller kostbarer Momente. Und noch etwas macht ‚Vertraute Orte’ so besonders: Die Einbeziehung von Conni Trieders poesievollen Texten, vorgetragen von der Schauspielerin Mareike Hein.
„Noch in den fünfziger Jahren wurde die Flöte nur unter ‚sonstige Instrumente‘ geführt.“ So beginnt Joachim-Ernst Berendt in seinem Standardjazzbuch sein Kapitel über dieses Instrument. Conni Trieder stört diese Randstellung nicht. Im Gegenteil: Sie verdoppelt das Instrument in ihrem mit Bassklarinette und Kontrabass verstärkten Quartett ‚Trieders Holz‘. Und wenn man mit ihr redet, lässt sie überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie die Flöte ins Zentrum ihrer Arbeit rücken muss. Sie mag den Klang, mit dem sie mehr erreicht, weil sie die Vorurteile ignoriert. Sie nennt Robert Dick, Jeremy Steig oder Claire Chase als Vorbilder und natürlich auch Eric Dolphy und Henry Threadgill. Dann schwärmt sie davon, was auf diesem Instrument alles möglich ist. Und überhaupt, die Flöte war immer schon da.
Nach dem Studium der Kulturwissenschaften hat Conni Trieder bei Michael Heupel – auch so einem Flötenpuristen – in Köln studiert, denn auch Berendt konstatiert im Fortgang seiner Flötenanalyse, wie das Instrument im modernen Jazz „jene Position der spielerischen, leichten, triumphierenden Höhe“ einnahm, „die in der Swing-Ära die Klarinette innehatte.“ Dennoch und trotz Roland Kirk, Herbie Mann, Paul Horn oder Frank Wess bleiben Erfolgsalben von Flötisten Exoten. Sei’s drum, es lohnt sich, den Stellenwert der Flöte zu steigern, zumal fast jede Weltgegend ihre eigene Spielart und Ausprägung des Instruments hat.
Fragil und doch sicher voranschreitend, so hatte Conni Trieder 2021 im Trio mit Bass und Schlagzeug als Bandleaderin mit der CD „Brot & Salz“ debütiert. Nun geht sie den nächsten Schritt, dessen Konsequenz nicht nur wegen der unorthodoxen Verdopplung ihres Instruments verblüfft und überzeugt. „Ich hatte letztes Jahr großes Glück, ein halbjähriges Arbeitsstipendium der Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt zu erhalten … Daraus ist ein Kompositionszyklus über meine Kindheit und Jugend in Halle (Saale) für das Quartett entstanden. Ich finde die Besetzung sehr spannend, weil wir alle zusammen Rhythmusgruppe und Harmonieinstrument sind. Alle treten sowohl solistisch als auch begleitend auf und sind gleichermaßen präsent“, beschreibt sie die Initiation von Trieders Holz.
Und diese Band mit ihr an der Altflöte und Quentin Coppalle an der Sopranquerflöte sowie dem Bassklarinettisten Leonhard Huhn und der Kontrabassistin Athina Kontou unterstreicht die Konsequenz der Bandleaderin mit verblüffenden Ergebnissen der Neuverortung der Flöte in der improvisierten Musik, wobei es ihr um mehr als nur ein paar neue Farben geht für ihr unterrepräsentiertes, zartes Instrument. Nach dem Trio schreibt sie ihre Geschichte in diesem schlagzeuglosen Quartett anders weiter. In ungewöhnlicher Instrumentierung schichtet sie einen neu definierten filigranen Einklang der Dissonanzen und lässt klangfarbenreich ihren kammermusikalischen Jazz aufblühen. Als Solistinnen und Begleiter geben sie sich die Bälle in die Hand, klingen als eigenwilliges und bestens eingespieltes Ensemble. Schöne Melodik und freie Ausbrüche changieren ineinander, schreiten mal temposcharf voran, um dann wieder innezuhalten und den Moment zu feiern.
Die erweiterten Facetten der beiden Flöten wirken mal betörend, dann wieder kraftvoll und zupackend. Conni Trieder hat dabei an Selbstbewusstsein gewonnen und beschreibt das so: „Früher wollte ich der Welt immer beweisen, dass Flöte viel mehr ist, als der allgemeine Konsens es zuließ. Mittlerweile ist mir das egal und ich mache einfach Musik, und die Flöte ist dabei mein Instrument.“ Wieder besticht die Transparenz ihrer Musik, in der nicht geeifert, sondern ein abwechslungsreicher und farbensatter Zusammenklang vorgeführt wird. Nichts ist hier überambitioniert zugestellt, vielmehr herrscht die gemeinsame Freude am Zusammenspiel.
Und noch etwas macht „Vertraute Orte“ von Trieders Holz so besonders. Es ist die Einbeziehung von Conni Trieders poesievollen Texten, die von der Schauspielerin Mareike Hein vorgetragen werden. Es sind Miniaturen über eine unbeschwerte Kindheit in Halle, wo Conni Trieder aufgewachsen ist. Mal neckisch, dann auch mal durch den sepiafarbenen Zackenrand-Rückspiegel verklärt, findet sie schöne und immer schönere Bilder dafür, wie leicht doch einst das Glück eingefangen werden konnte. Kinderabenteuer werden da wachgerufen auf dem Dachboden, den Galgenberg hinunter, in der geteilten Brüderstraße oder im wild wuchernden verlassenen Gewächshaus. Zu Fuß oder auf dem Rad unterwegs, unterscheiden sich die Kinderfreuden an vertrauten Orten in Halle an der Saale nicht von denen in jeder anderen Stadt. Neugierige Kühnheiten werden beschrieben aus einer jungen Perspektive, von deren Leichtigkeit die Kompositionen inspiriert sind, ohne diese schöne Vergangenheit nur simpel zu illustrieren.
Poesie und Musik bilden eine Einheit, die nie aufgesetzt wirkt. Die Multiphonics der gedoppelten Querflöten können dabei jubeln, schwelgen, flüstern und auch mal laut und böse werden. Das Spektrum ist breit und bunt. Texte und Töne geben sich gegenseitig Zeit, stehen getrennt und driften beim Hören doch ineinander, als wäre jedes der Elemente eine Interpretationshilfe fürs andere. So bringen diese Aufnahmen die schönen Augenblicke zum Verweilen. Ansonsten wäre der so unverhofft an der Küchenwand aufgetauchte Sonnenfleck unbemerkt verloschen. Doch dieser eine Moment ist kostbar. Dieses Album ist voll mit solchen kostbaren Momenten.
nWog Rec/nwog 051/LC 77779/0653415179795/Vertrieb: Indigo
VÖ: 21.4.2023