LAURA – Sunset Balcony
Ein Album, dessen Musik sich in Richtung Zukunft bewegt, doch auf dem Weg nostalgisch einen Blick zurück über seine Schulter wirft. In die realen und emotionalen Widersprüche zwischen Melancholie und Optimismus, mit denen wir alle mehr denn je leben müssen. In den Sonnenuntergang auf dem Balkon.
Verblüffend, dass einem auf Anhieb kein Musiker einfällt, der dieses Bild schon einmal verarbeitet hat: Der Balkon als kreativer Kulminationspunkt, als Ort der Begegnung, des Austauschs mit vertrauten wie neuen Menschen, der zugleich „widersprüchliche Gefühle erregt,“ wie es die Sängerin Laura formuliert: „Das Gefühl, zu Hause zu sein, und das Gefühl, der Außenwelt ausgesetzt zu sein. Das Gefühl der Freiheit gepaart mit dem Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein.“ Eine starke Metapher für die Gedankenwelt einer Musikerin. Und ein perfekter Anker für ein Album: „Sunset Balcony“ heißt das neue Werk von Laura, „im Geist entstanden an lauen Abenden auf einem Balkon mit Sonnenuntergang, allein oder mit lieben Menschen, um über unseren Platz in der Welt nachzudenken oder auch nur darüber, was wir zum Abendessen kochen wollen,“ wie sie berichtet.
Laura beschreibt einen Platz in der Sonne mit Blick Richtung Paris: Vierter Stock und ein französischer Salon, in den von Zeit zu Zeit das Licht des Eiffelturms durch die Glasfront fällt wie ein Leuchtfeuer aus der Ferne, in die der Blick auf die Steingebirge der Vorstädte schweifen darf. Zuletzt hat sich die 27-Jährige hier viel öfter aufgehalten als in ihrer Heimat nahe Stuttgart oder in den Konzertsälen der Welt, liegt sie doch in den letzten Zügen ihres Psychologiestudiums an der Université de Paris. Ein Fundament, das ihr wichtig ist und in ihren Texten Nachhall findet.
Hatte Laura, damals noch mit ihrem Nachnamen Kipp unterwegs, doch schon von 2017 an in der Stuttgarter Jazzszene wie im BundesJazzorchester (BuJazzo) mit ihrem musikalischen Talent auf sich aufmerksam gemacht, ihrer Stimme und ihrem Charisma Größen wie Quincy Jones, Dee Dee Bridgewater oder Jacob Collier von sich überzeugt. Im selben Jahr begegnete sie auch dem Bassisten Jens Loh, mit dem sich schnell eine natürlich resonierende Kreativgemeinschaft ergab: Seine Kompositionen und ihre Texte fügen sich sozusagen von alleine zusammen: „Unser ästhetisches Verständnis passt einfach perfekt zusammen“, sagt Loh, der das Album „Sunset Balcony“ produziert hat.
Schnell war auch das perfekte Team um Laura und Jens gefunden. Der in allen Stilen bewanderte Schlagzeuger Eckhard Stromer, ein alter Weggefährte von Loh. Der französische Pianist, Keyboarder und Bill Evans-Schüler William Lecomte, der schon mit so unterschiedlichen Größen wie Jean-Luc Ponty, Vaia Con Dios oder Nigel Kennedy arbeitete und, neben den Arrangements von Loh, zwei wunderschöne orchestrale Arrangements beigesteuert hat. Und nicht zuletzt Cornelius Claudio Kreusch als bedingungslos hinter ihnen stehender Produzent.
War schon das Debüt „Quiet Land“ 2021 mehr als eine Talentprobe, ist dieses Dreamteam nun mit „Sunset Balcony“ den nächsten Schritt gegangen. „Diesmal ist alles ja explizit für das Album geschrieben, in sehr intensiven kompakten Arbeitsphasen. Außerdem hatte ich die Stimme von Laura und den Sound unserer Band natürlich noch viel besser im Kopf,“ erklärt Loh. Bei Laura wiederum fließt Reife und Lebenserfahrung in die authentischen und berührenden Texte ein. Der Song „Oh, I Could Write A Book“, trifft den Nagel auf den Kopf.“
„Den ‚Bartender‘ des gleichnamigen Songs habe ich tatsächlich im realen Leben kennengelernt,“ erzählt Laura. „Er sah aus wie 60, war aber schon viel älter, der Blues war seine große Leidenschaft, die Nostalgie greifbar. Die wichtigsten Songzeilen sind mir bei unserer ersten Begegnung eingefallen und ich habe sie gleich danach sofort aufgeschrieben.“ Und was für ein ergreifender Refrain dabei herausgekommen ist: „You’re 68/ never too late for work/ I’m 25/ and see the misery in your eyes“.
Zu „Bartender“ wie zum final nachhallenden „Promise Me“ hat Laura auch die Musik geschrieben. Und wenn man sich als eingespieltes Duo so vertrauen kann, die Fähigkeiten des anderen so gut kennt, einen gemeinsamen Nenner gefunden hat und sich über die Ziele einig ist, dann kann man sich auch weiter über den Balkon hinauslehnen, sich mehr trauen. Und so trägt „Sunset Balcony“ die unverwechselbare Handschrift der Beteiligten, ohne sich stilistisch beschränken zu müssen. Noch bunter als bei „Quiet Land“ ist die Palette der Farben, aus denen sich das Bild ergibt.
Von der popnahen Hymne des Titelstücks zu Einstieg geht es über das Hip-Hop-beeinflusste „Poke Bowl“ oder das chansonesque „Bénodet“ – eine Reminiszenz an die gleichnamige Stadt in der Bretagne – bis zum fast psychedelisch angehauchten „Prayer“. Der Funk lugt bei „Johnny the Fly“ und „Dance Into The Light“ um die Ecke, sehr folkig wird es bei „Forever In A Blink“, im Blues schwelgt „Bartender“ und beim Musette-Jazz von „Narcís“ steuert der Sänger und Gitarrist Carles Denia ein starkes katalanisches Element bei, noch unterstrichen durch das lyrische Baritonsaxofon des Franzosen Eric Séva.
A propos, um die entsprechenden Farben stimmig auszumalen, hat man sich zum Quartett herausragende, hochkompetente Gäste dazu geholt. Als alte Freunde dürfen dabei der weitgereiste, vor kurzem mit dem Jazzpreis Baden-Württemberg dekorierte Gitarrist Christoph Neuhaus und der brasilianische Perkussionist Paulinho Vincente gelten, die auf jeweils drei Stücken mit von der Partie sind. Zwei Stücken setzt der junge Jakob Bänsch Glanzlichter auf, eines der größten Trompeten-Talente der aktuellen europäischen Jazzszene. Das wundervoll filmmusikalische, gewissermaßen leinwandfüllende „Oh I Could Write A Book“ bekommt nicht nur durch das schon auf „Quiet Land“ bewährte Streichquartett mit Luca Bognár, Marianne Sohler, Natascha Stromer und Krassamira Krastera die erwünschte, und von William Lecomte kongenial arrangierte, orchestrale Grandezza, sondern auch durch den Hornisten Joachim Bänsch und die in allen Facetten, Varianten und Stil-Möglichkeiten ihres Instruments bewanderte Flötistin Isabelle Bodenseh.
„Nach allem, was wir erlebt haben, hätte das Album auch ‚Oh, I Could Write A Book‘ heißen können“, meint Laura lachend. „Aber das wäre seiner Stimmung nicht angemessen gewesen,“ entgegnet Jens Loh. „Ich finde es ein sehr nachdenkliches Album. Das hat natürlich auch mit unserer Zeit zu tun.“
„Sunset Balcony“ ist ein Album, dessen Musik sich in Richtung Zukunft bewegt, doch auf dem Weg nostalgisch einen Blick zurück über seine Schulter wirft. In die realen und emotionalen Widersprüche zwischen Melancholie und Optimismus, mit denen wir alle mehr denn je leben müssen. In den Sonnenuntergang auf dem Balkon.
Laura – vocals
Jens Loh – bass
William Lecomte – piano, fender rhodes
Eckhard Stromer – drums
https://laura-sings.com/
VÖ: 05.05.2023
GLM / FM 341 /LC 11188 / 4014063434128 / Vertrieb: Edel
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