Janning Trumann – Fundaments We Share
Eine komplementäre Doppel-Suite: Diese Musik ist weder Jazz noch Klassik und folgt auch nicht dem programmatischen Diktat des Third Stream. Ein besonderes Klangkunstwerk, das sich über alle bisherigen Hörerlebnisse hinwegsetzend einen völlig neuen Maßstab an Komplexität im Diskurs von Erinnerung und Vision setzt.
Heidi Bayer – trp, flugel
Theresia Philipp/Charlotte Greve – sax, flute
Uli Kempendorff – sax, clar
Fabian Willmann/Tini Thomsen – bari, bclar
Janning Trumann – trb, comp
Dierk Peters – vib
Stefan Schönegg – b
Sebastian Scobel – org
Aus Zwei mach Eins! Der Kölner Komponist, Bandleader und Posaunist Janning Trumann hat zwei eigenständige Suiten, die in ganz unterschiedlichen Situationen entstanden sind, zu einem Doppelalbum zusammengefasst, und das aus gutem Grund. Denn neben der Tiefgründigkeit und Komplexität seiner Musik verbindet die beiden Stücke die Besetzung des Oktetts.
Die dem deutschen expressionistischen Bildhauer Ernst Barlach gewidmete Suite „Wem Zeit wie Ewigkeit“ wurde bereits 2019 aufgenommen und ist seitdem fünfmal aufgeführt worden. Trumann ließ die Aufnahmen aber bis jetzt ruhen. Die drei Jahre später erfolgte Einspielung von „Fundaments We Share“ bot dann den willkommenen Anlass, beide in ihrer Anlage doch recht unterschiedlichen Stücke als komplementäre Doppel-Suite zu veröffentlichen. Die beiden Werke ergänzen und komplettieren einander vor allem deshalb so perfekt, weil jedes für sich so fundamental ist. Es gibt nicht Hauptwerk und Beiwerk, es gibt auch keine Anleitung, welche der beiden Platten man zuerst hören sollte, denn sie sind nicht nummeriert. Diese Musik ist weder Jazz noch Klassik und folgt auch nicht dem programmatischen Diktat des Third Stream. Der Posaunist hat längst die Koordinaten seines ureigenen poetischen Wertekanons festgelegt, innerhalb dessen er die beiden Einspielungen in diagonalen Ecken verortet hat. Sie entspringen zwar verschiedenen Bedürfnissen, greifen aber auf dasselbe Vokabular zu.
Von jeher zeichnen Janning Trumanns Musik Wärme und Präzision aus. Egal in welcher Konstellation er antritt, braucht man nur wenige Töne von ihm zu hören, um seinen Sound auszumachen, genau wie man nur wenige Zeilen von Rilke oder wenige Pinselstriche von Modigliani braucht, um jene Künstler zu erkennen. Das Oktett ist allerdings ein besonderer Klangkörper. Größer als eine Combo und kleiner als eine Big Band, vereint es doch die Vorzüge beider Konstellationen. Die konkreten Besetzungen der Janning Trumann 8 hat vor allem persönliche und autobiografische Gründe. Er selbst nennt es eine logische Konsequenz aus seinem bisherigen künstlerischen Leben. „Ich habe das Ensemble 2019 gegründet. Da sind viele Musikerpersönlichkeiten beteiligt, mit denen ich schon lange zusammenarbeite. Zum Teil spielt auch meine Herkunft eine Rolle. Charlotte Greves Tante zum Beispiel hat mich genau in der Kirche konfirmiert, in der wir aufgenommen haben. In dieser Kirche haben Charlotte und ich schon mehrfach als Teenager gespielt.“ Das ist nur eine von vielen sehr persönlichen Geschichten, aufgrund derer er Kolleginnen und Kollegen wie Charlotte Greve, Tini Thomsen und Uli Kempendorff (bzw. Fabian Willmann und Theresia Philips für Greve und Thomsen) an den Saxofonen, Trompeterin und Flügelhornistin Heidi Bayer, Organist Sebastian Scobel, Vibrafonist Dierk Peters oder Bassist Stefan Schönegg um sich scharte. Bei allen Genannten ist der gemeinsam zurückgelegte Weg für Trumann mindestens ebenso wichtig wie ihre jeweilige musikalische Stimme.
Letztlich funktioniert dieses Ensemble wie ein Klangmalkasten, in dem jede Stimme eine Farbe ist, die Trumann nach Belieben auf seiner Palette mischen kann, um seine ganz eigenen Stimmungen zu kreieren. „Für die Barlach Suite habe ich noch sehr viel komponiert und jedes Detail ausgearbeitet“, erinnert sich der Klangfarbenzauberer. „Da hatten wir viel Zeit zu proben und uns kennenzulernen. Ich wusste noch nicht, wie viele Freiheiten ich der Truppe gewähren kann. Für die Fundaments-Platte habe ich nur noch Skizzen geschrieben. Da gab ich den Musikern die Freiheit, einfach zu spielen und zu schauen, was passiert. Wir haben nur geprobt und ein bisschen experimentiert, und dann sind wir schon an die Aufnahmen gegangen, von denen wir verschiedene Takes einspielten. Es funktioniert tatsächlich wie ein Klangmalkasten, aus dem ich meine Farben frei wählen kann.“
Zu Ernst Barlach hat Janning Trumann eine besondere Verbindung. Er trat mehrfach in der Kölner Antoniterkirche auf, in der die originale Kopie des von den Nazis eingeschmolzenen schwebenden Engels von Barlach hängt, der die Gesichtszüge von Käthe Kollwitz trägt. Der Titel der Barlach-Suite bezieht sich auf die Lithografie „Wem Zeit wie Ewigkeit“, die auf einem Zitat des Philosophen Jakob Böhme beruht (Wem Zeit wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Leid.). Trumann dachte lange über dieses Zitat nach und begann sich mit dem Werk des Bildhauers intensiver auseinanderzusetzen. Aber wie übersetzt man Barlach in Musik? „Barlachs Skulpturen sind alle sehr rund“, hält der Posaunist fest. „Es gibt nicht viel Eckiges von ihm. Gesichter sind bei ihm sehr schlicht gehalten. Diese einfache und weiche Förmlichkeit war auch mir wichtig. Ich gieße alles in Formen, die ein wenig strukturmotivisch wirken, und fragte mich, auf welchem Grund baut er immer wieder auf, was macht seine Handschrift, seine Motive, sein Wiedererkennungswert aus.“ Nun hat Trumann von vornherein einen sehr runden Ton, der gut zu Barlach passt. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Posaunisten und dem Skulptor besteht darin, dass letzterer in Metall gearbeitet hat und Trumann in seiner Suite bis auf den Kontrabass vor allem warm klingendes Metall zu Einsatz – um nicht zu sagen zum Schweben bringt.
„Fundaments We Share“ ist in mehrerlei Hinsicht die Antithese zu „Wem Zeit wie Ewigkeit“. Die Zeiten hatten sich nach dem Lockdown geändert, und die Barlach-Suite hatte Trumann so lange begleitet, dass er das Oktett noch einmal in eine ganz andere Richtung bringen wollte. „Das Ensemble hat immer komponierte Musik gespielt“, resümiert der Bandleader, „aber ich hatte Mitglieder wie Stefan Schönegg und Uli Kempendorff, um nur zwei zu nennen, denen ich einfach viel mehr Freiheiten einräumen wollte. Ich wollte sie nicht mehr so an der Kette halten, damit sie auch mal richtig loslegen können. Deshalb wollte ich mit der Gruppe gemeinsam neue Freiheiten finden und noch viel expressiver mit den Klangfarben zu arbeiten. Ich wollte mehr im Klang denken und weniger in Strukturen.“ Im Vergleich zu dem dichten und sakral anmutenden Barlach-Werk wirkt „Fundaments We Share“ wie ein Befreiungsschlag, eine Explosion in der Kathedrale.
Die Suite aus beiden Suiten mag für den Augenblick die totale Überforderung darstellen, und doch gehören beide Werke gerade wegen ihrer Gegensätzlichkeit untrennbar zusammen. Man kann beide Platten jeweils für sich bzw. erst die eine und dann die andere hören oder umgekehrt. Man kann Zeit zwischen beiden verstreichen lassen oder sie direkt miteinander konfrontieren. Und man kann zu unterschiedlichen Zeiten all das eben Beschriebene tun. In jedem Fall offenbart sich Ohr und Seele ein besonderes Klangkunstwerk, das sich über alle bisherigen Hörerlebnisse hinwegsetzend einen völlig neuen Maßstab an Komplexität im Diskurs von Erinnerung und Vision, wie auch Abstraktion und Alltag setzt.
Tangible Music TM016 / LC82048 / 0764137108083 /
Vertrieb (CD+Digital): www.tangible-music.net/tangiblemusic.bandcamp.com
VÖ: 28.04.2023