Jan Alexander – Storm Before The Calm
Eine Vorliebe für krumme Taktarten und ungerade Metren – komplex, aber dank ihrer melodischen Qualitäten überaus hörenswert. Wir hören ebenso unterhaltsame wie abenteuerliche Kompositionen.
Eigentlich spricht man ja von der Ruhe vor dem Sturm. Doch auf „Storm Before The Calm“ kehrt Pianist Jan Alexander die Reihenfolge der Ereignisse um. Sein neues Album ist ein Rückblick auf seine Reise der vergangenen zehn Jahre: von Amsterdam über Essen und Stockholm nach Köln, in dem er Höhen und Tiefen, Struktur und Chaos zusammenführt. Seine ebenso unterhaltsamen wie abenteuerlichen Kompositionen erwecken Anna Serierse (Gesang), Sebastian Mattebo (Saxofon), Teis Semey (Gitarre), Duy Luong (Kontrabass) und Karl-F. Degenhardt (Schlagzeug) zum Leben.
Bandleader Alexander studierte an der Folkwang Universität der Künste in Essen, am Konservatorium in Amsterdam und an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm, wo er sich 2021 in seiner Abschlussarbeit den ungeraden Metren widmete, die er häufig in seinen Stücken verwendet. Das macht seine Kompositionen aber weder abgehoben, noch sperrig. Sie sind durchaus komplex, aber dank ihrer melodischen Qualitäten überaus hörenswert.
Ohnehin verwendet er seine Vorliebe für krumme Taktarten eher subtil. Das bestätigen Mitglieder aus seinem Familien- und Freundeskreis, die die Stücke vorab zu hören bekamen. „Auf meine Frage, ob ihnen etwas bezüglich der Taktart auffällt, sagten sie: nein, was hätte uns denn auffallen sollen? Das war ein wichtiges Signal für mich, weil ich nicht möchte, dass theoretische Konzepte die Hörerlebnisse meines Publikums negativ beeinflussen. Dadurch können Barrieren zwischen Künstler und Publikum entstehen. Wer hört schon gerne Musik, die nur als Konzept spannend ist?“, fragt Alexander.
Genauso wichtig ist ihm die Geschichte hinter dem Albumtitel, der auf seine Gefühlswelt während der Corona-Pandemie anspielt. Damals fühlte sich sein Leben turbulent und unstetig an. „Es war mitten in der Pandemie und ich war in Schweden – weit weg von Freundinnen, Freunden und Familie. Trotzdem habe ich versucht, gleichzeitig meine Musikkarriere und mein Studium fortzuführen, was mich streckenweise überfordert hat. In dieser Zeit habe ich mir vorgestellt, wie alles viel ruhiger wird, wenn die Pandemie vorbei ist und ich zurück in Deutschland bin. Aber das war wohl eine Illusion. In welchen Bahnen das Leben als Musiker verläuft, wird sich nie voraussagen lassen. Deshalb habe ich mich auch für dieses Leben entschieden.“
Das Stück „Turmoil“, in dem verschiedene Metren verwendet werden, bezieht sich auf diese Unberechenbarkeit. Im Gegensatz zu anderen Kompositionen, die die Band live einspielte, wurde dieses von Alexander mithilfe von aufgenommenen Samples produziert. Während der Pandemie beschäftigte sich Alexander ausgiebig mit Aufnahme- und Produktionstechniken. „Ich habe viel Zeit bei meinen Eltern verbracht. Zuerst ging es mir gut damit, doch dann fühlte ich mich mehr und mehr eingesperrt. Also habe ich mir mein Equipment geschnappt, es im Keller eingerichtet und elektronische Musik produziert. Das hat die Art und Weise, wie ich jetzt über Musik denke, fundamental beeinflusst.“
Menschliche Stimmen setzt der Komponist größtenteils instrumental ein, allerdings finden sich auf dem Album auch einige Stücke mit Lyrics. In „Within Your Light“ ist es die Niederländerin Anna Serierse, die diesen eher traditionellen Song mit viel Ausdruck und Leidenschaft präsentiert. In dem Text geht es um Menschen, die einen zwar nicht auf Schritt und Tritt begleiten, aber deren Präsenz dennoch stets spürbar ist. „Dieses Gefühl hatte ich häufiger in den langen Winternächten in Stockholm. Ich wusste, dass es immer Menschen gibt, auf die ich mich verlassen kann, auch wenn sie damals weiter weg waren. „Lost“ beschreibt den Zustand der Niedergeschlagenheit, bis eine einzelne Person auftaucht und alles verändert“, erklärt Alexander.
„Sorrows“ und „Change“ sind komplexe, kunstvoll gestaltete Kompositionen, die den Musikerinnen und Musikern Raum für Improvisation lassen, während „New Horizon“ aus „Akkorden und einem Rhythmus besteht, der sich nach Belieben verändern kann. Ich habe meiner Band keinerlei Vorgaben gemacht, sondern auf ihr Gespür vertraut. Sie sind alle großartig – sehr versiert und wandlungsfähig.“
„Tribe“ ist kompositorisch eher einfach gehalten, wird aber durch den kollektiven Bandansatz zu etwas Besonderem. „Wenn wir das Stück live spielen, singt das Publikum nach ein paar Takten mit. Das finde ich sehr erstaunlich, denn wer singt schon Stücke im 9/4 Takt?“, schmunzelt Alexander.
Sebastian Mattebo (Schweden) prägt mit seinem melodischen Saxofon-Spiel den Bandsound wesentlich – ebenso Duy Luong (Vietnam/Deutschland) mit seinem rhythmisch klaren Bassspiel. Teis Semey (Dänemark/Niederlande) fällt durch sein energiegeladenes Spiel an der Gitarre auf, während Karl-F. Degenhardts versiertes Schlagzeugspiel verschiedene Einflüsse erkennen lässt, darunter unter anderem Hiphop und westafrikanische Rhythmen. „Sie alle zeichnet eine eigene, ganz persönliche musikalische Herangehensweise aus. Deshalb weiß ich meine Ideen bei ihnen in den besten Händen. Sie interessiert vor allem das Gesamtergebnis. Hier bin ich der Bandleader – und das wissen sie zu schätzen. Das geht mir aber auch so, wenn ich in anderen Ensembles spiele. Dann bin ich auch froh, wenn jemand anderes das Schiff steuert.“
Die Band ist schon gut herumgekommen mit Konzerten in Bielefeld, Köln und Berlin. Im Herbst stehen unter anderem Basel und Minden auf dem Tourplan. Und der Bandleader arbeitet auch schon an neuen Kompositionen, in denen „die musikalische Handschrift der einzelnen Mitglieder noch besser zum Vorschein kommen wird.“
Berthold records BR323154 / LC 27984 / 4250647323154 / Vertrieb: Cargo
VÖ: 13.10.2023
LIVE
05.10.2023 – Basel, the bird’s eye jazz club
25.11.2023 – Minden, Jazz Club Minden