Carl Wittigs Aurora Oktett – Continuity and Resonance
Dieser frische europäische Jazz mit größerer Band als üblich fusioniert seine Quellen, ohne belehren zu wollen. Carl Wittigs Aurora Oktett berührt mit Unverhofftem, sie ist wie selbstverständlich da als überzeugende Synthese aus alter und neuer Welt.
Will er seine Vitalität bewahren, muss sich der Jazz immer wieder erneuern. Er darf keine Museumsmusik sein, die einfach nur ausgestellt wird. Jazz ist eine Musik von Individualitäten, die sich addieren zu immer neuen Wegen ins Offene. Diese werden von jeder Generation anders ausgeschritten.
In seiner Generation ist der 29-jährige Leipziger Bassist, Komponist, Arrangeur und Bandleader Carl Christian Wittig eine exponierte Persönlichkeit. In der sächsischen Robert Schumann-Stadt Zwickau gleichermaßen in Jazz und klassischer Musik ausgebildet, geht es ihm um die tragfähige Verbindung beider Genres. In Leipzig und Luzern hat er studiert. Unterwegs begegnete er Nils Wogram, dessen Album „Riomar“ zu einer Initialzündung für ihn wurde: Jazzquartett plus Streicher. Was er da hörte, ging deutlich über die traditionellen Alben von Charlie Parker, Clifford Brown oder Chet Baker hinaus. Solist vor Süßholz, das war Carl Wittig viel zu wenig.
Die Ursprungsidee für das Aurora Oktett war geboren. 2016 gründete Carl Wittig diese Band, in der er Improvisation und Komposition auf andere Art zusammenführte. Im Aurora Oktett war das Streichquartett nicht nur Harmonieinstrument oder Gast aus einer anderen Welt. Wie wäre es, wenn die Beteiligten ihr jeweils antrainiertes Terrain verließen? Wie wäre es, wenn klassisch ausgebildete Streicher improvisierten und Jazzmusiker mehr als üblich kompositorischen Vorgaben folgen würden? Wie wäre es, wenn so aus der Summe der Teile ein größerer gemeinsamer Kosmos entstünde?
Vor diesen Prämissen ist in acht Jahren eine Band gewachsen, die nicht in den üblichen Kategorien zu fassen ist. Carl Wittig hat untersucht, durchgespielt und entwickelt, was man aus so einer Formation machen kann: hier ein klassisch besetztes Jazzquartett mit Trompete, Saxophon, Bass und Schlagzeug, dort ein Streichquartett mit zwei Violinen, Bratsche und Cello. Doch genau dieses Hier und Dort soll es nicht mehr geben bei ihm. An seine Stelle soll die Frage treten, was man machen kann mit so einer Formation, wenn die Grenzen verwischen.
Klar, es ist wie immer. Es gibt Vorbilder: Sebastian Sternals Symphonic Society, Christian Wallumrød oder Trygve Seim im Hohen Norden. Es gibt sie, um in diesem besonderen Fall aus all dem ein Oktett der vollkommenen Fusionierung zu schaffen, das nach Jahren der gemeinsamen Entwicklung mit seiner neuen CD belegt, wie tragfähig und überzeugend seine individuellen Ergebnisse sind.
„Continuity and Resonance“ ist nach „Perspective Suite“ die zweite CD dieser sehr besonderen Formation. Und die verblüfft aufs Neue, weil das konstant gebliebene Oktett souveräner, selbstbewusster und insgesamt noch schlüssiger geworden ist. Da gibt es zu Beginn eine Suite des Saxophonisten Matti Oehl, die in fünf Sätzen dem klassischen Kanon folgt. Dann schleißt Carl Wittig vier Stücke an wie Resonanzen auf die klassischen Vorgaben. Die CD ist spannend gegliedert und klug konzipiert. Was löst das aus, wenn ich die klassischen Formen auf mich wirken lasse? Wie ist das, wenn ich den amerikanischen Jazz mit meinen europäischen Wurzeln zusammenbringe? Genau auf diesem Weg fusioniert Carl Wittig die Quellen seiner Musik, ohne intellektuell überrumpeln zu wollen.
Allen Mitgliedern seiner Band gibt er Gelegenheit, sich solistisch zu präsentieren. Keiner nutzt das für Poserei, jeder dient der Sache. Das ist ein neues Jazzverständnis. Es geht nicht mehr ums Ausstellen von Fähigkeiten, es geht darum, gemeinsam etwas Größeres zu entwickeln. „Das ist eher eine sanfte und milde Art und Weise, die natürlich auch ihre Ausbrüche beinhalten muss und laut werden kann“, fasst Carl Wittig zusammen, „das ist die Art, wie ich berührt werden möchte.“
Dieser frische europäische Jazz mit größerer Band als üblich fusioniert seine Quellen, ohne belehren zu wollen. Er ist einfach da und überzeugt. Da kann es um Wut gehen über ungebetene Besserwisser, um die Fähigkeit, leer zu sein, als Voraussetzung für Aufnahmefähigkeit, um Blicke in den Nebel hinter Schleiern, um die Wellen der Empfindungen oder um immer neuen Anfänge nach dunklen Nächten. Diese Musik lädt dazu ein, Vorgefertigtes zu vergessen. Sie berührt mit Unverhofftem, sie ist wie selbstverständlich da als überzeugende Synthese aus alter und neuer Welt.
XJazz! XJM24010 / 0198588445174 CD / 0198588445235 LP /
Vertrieb: carlwittigsauroraoktett.bandcamp.com / The Orchard
VÖ: 24. 1. 2025
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20.02.2025 – Harderbastei, Ingolstadt
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