Alex Simu Quintet - Echoes Of Bukarest

Alex Simu – Echoes of Bucharest

Berthold Records / 4250647319041 / Vertrieb: Cargo

Veröffentlichung: 26.3. 2019

 

 Echoes of Bucharest heißt das Album, auf dem der rumänische Klarinettist Alex Simu sein Publikum mit auf eine musikalische Reise zwischen Orient und Okzident nimmt. Simu, Jahrgang 1981, ist mit Musik aufgewachsen. Schon als kleinen Jungen meldeten ihn seine Eltern an einer Bukarester Musikschule an. Mit neun Jahren begann er, Klarinette zu lernen. Sein Studium führte ihn vom „Prins Claus Konservatorium“ in Groningen über das „Konservatorium Amsterdam“ bis an die „Manhattan School of Music“ in New York. Nach dem Ende seines Studiums kehrte er nach Amsterdam zurück, wo er heute lebt. „Solche Hochschulen gab es weder in Bukarest noch im benachbarten Ausland“, erinnert sich Simu. „Das war für mich ein völlig neues Leben in einem unbekannten Land“. Eine Erfahrung, die seinen Blick auf seine Herkunft grundlegend veränderte. Denn erst das Verlassen seines Mikrokosmos und die große Entfernung zur Heimat haben seine Sinne geschärft und ihn in die Lage versetzt, seine Geburtsstadt mit ihrer multikulturellen Komplexität besser verstehen zu können.

Als Brückenkopf zwischen Europa und Asien wurde Rumänien von jeher sowohl von der abendländischen, als auch von der orientalischen Musiktradition beeinflusst. „Als ich noch in Bukarest gewohnt habe, waren mir diese ganzen musikalischen Verbindungen gänzlich unbekannt. In meiner Kindheit und Jugend haben mich beide Seiten beeinflusst: die heimischen Folk-Musiker mit ihrem Stilmix ebenso wie klassische Komponisten. Ich habe Straßenmusikern zugehört, Musikern, die auf Hochzeiten und Festen gespielt haben, Komponisten wie George Enescu in Konzertsälen und byzantinischer Musik in Kirchen.“

Alle diese musikalischen Einflüsse verarbeitet Simu in seinen Kompositionen.

 

Im Titelstück Echoes of Bucharest etwa, das von den Ereignissen im Jahr 1989 handelt, als das Ceau?escu-Regime gestürzt wurde. „In dem Stück wollte ich die Stimmung im Volk aufgreifen, das zu Beginn der Revolution noch friedlich zu sein schien, aber es unter der Oberfläche bereits brodelte. Das hat sich dann immer weiter hochgeschaukelt, bis die Menschen schließlich ihr Schicksal in die eigene Hand genommen und sich von der kommunistischen Herrschaft befreit haben. Musikalisch kombiniert das Stück eine Melodie aus der rumänischen Volksmusik, Doina genannt, mit einem langsamen 7/8-Rhythmus, der in Ländern des Balkans sehr verbreitet ist. Diese beiden Elemente habe ich in eine Jazzform gegossen – ausgestattet mit zeitgenössischen Harmonien und einer Modulation. Der zweite Teil des Stückes enthält eine harmonische Abfolge, die eher an Komponisten wie Bartok oder Enescu erinnert.“

Armenian Street ist der gleichnamigen Straße in Bukarest gewidmet – in einem armenisch geprägten Stadtviertel. „Dort lebten große Persönlichkeiten: Denker, Philosophen, Theaterautoren – von denen viele, wenn auch nicht alle, armenische Wurzeln hatten. Das hat mir verdeutlicht, wie wichtig die armenische Kultur nicht nur für Bukarest, sondern für ganz Rumänien ist. Die Kommunisten haben versucht, den ethnischen Hintergrund dieser Leute zu verleugnen. Als sie noch an der Macht waren, betonten sie, dass alle Rumänen seien. Und wer etwas Anderes behauptete, geriet schnell in Gefahr.“

Open Air Concert ist von der Dichterin Nina Cassian inspiriert, die – laut Simu – diese Darbietungsform als „Metapher für die Liebe“ verwendet. „Wie eine Show oder ein Spektakel unter freiem Himmel. Eine Metapher für das Leben selbst.“

A Thousand Lanterns bezieht sich auf das Stadtbild von Bukarest und dessen Transformation, sobald man nachts durch die Metropole geht. „Tagsüber fällt einem die Schönheit der Stadt nicht so auf, weil die Kommunisten viele hässliche Gebäude errichten ließen. Aber nachts – unter dem Schein der Straßenlaternen – sieht alles sehr viel schöner aus.“

Slowly Dancing for Peace beschäftigt sich mit Seele und Geist der Einwohner Bukarests. „Die Menschen sind jovial und hemdsärmelig, lustig aber gleichzeitig auch zurückhaltend, wobei sie sich mit ihrer Skepsis auch selbst auf die Schippe nehmen. Sie haben einen Sinn für tiefschwarzen Humor und einen Tanz, von dem sie hoffen, dass er ihre Probleme löst und sie alle miteinander verbindet, weil ihnen die Stadt das Leben so schwermacht.“

Mit The Orphan will Simu auf die wachsende Kluft zwischen den Generationen in der rumänischen Hauptstadt hinweisen. „In jeder Generation nimmt das Verständnis für die Eltern ab, was die jungen Menschen in gewisser Weise zu Waisen macht. Gleichzeitig haben sich in den 1960er Jahren viele Eltern dazu entschieden, ihre Kinder zu verlassen.“

Simu fertigt seine Instrumente selbst, was zu einem unverwechselbaren Sound führt. „Vor knapp zehn Jahren habe ich damit begonnen, meine Klarinette so umzubauen, dass sie sowohl modernere als auch flexiblere Töne erzeugen kann. Auf diese Weise bringt sie Klänge ins Bewusstsein zurück, die lange vergessen schienen. Auf diesem Album verwende ich zwei historische Klarinettenmodelle: die sogenannte Clarinetto d'amore – eine in Sopranlage, die andere in Basslage, die vom Klang her etwas weicher und dunkler ist und die es mir erlaubt, sie flüssiger und dynamischer zu spielen. Beide Instrumente sind einzigartig.“

 

Die Kompositionen des Quintetts verbinden Wohlklang mit Vielseitigkeit und emotionaler Tiefe. Begleitet wird Simu von Jörg Brinkmann (Cello), George Dumitriu (Bratsche/Gitarre), Kristijan Krajn?an (Cello/Schlagzeug) und Franz von Chossy (Klavier). Zusammen bescheren sie ihren Hörern eine geradezu ekstatische Erfahrung – denn Simu betrachtet sein Publikum als „sechstes Bandmitglied“. Mit seiner filmartigen Musik erreicht er ein breites Publikum – und die Herzen der Kritiker. So wurden Teile von „Echoes of Bucharest“ 2018 als beste Filmmusik für einen Dokumentarfilm ausgezeichnet. „Letztlich ist unser ganzes Leben ein Film, zu dem wir den Soundtrack liefern“, erklärt Simu.