Angelique Kidjo - Celia
Angélique Kidjo - Celia
Verve / Decca France CD 00602577444982
VÖ: 19.04.2019
Kidjo, Angelique (with Dianne Reeves & Lizz Wright)
27.03.19 Burghausen Jazzwoche
Kidjo, Angelique
25.06.19 CH-Genf Centre Des Arts
Kidjo, Angelique (with Dianne Reeves & Lizz Wright)
09.07.19 Stuttgart Altes Schloss
Kidjo, Angelique
20.07.19 Berlin Wassermusik Festival
Kidjo, Angelique (Philip Glas "Lodger")
02.11.19 Dresden Kulturpalast
03.11.19 Dresden Kulturpalast
06.11.19 Hamburg Elbphilharmonie
Kidjo, Angelique (Symphonic Concert)
28.11.19 CH-Genf Camerata
27.03.20 A-Wien Musikverein
28.03.20 A-St. Pölten Festspielhaus
Wollte man Angélique Kidjos Karriere mit einem einzigen Wort beschreiben, könnte man dies mit “originell” tun. Denn die dreifache Grammy-Gewinnerin ist eine wirklich einzigartige Künstlerin. Vom Time Magazine einmal als “Afrikas führende Diva” tituliert, rechnete der Guardian die Sängerin 2011 zu den 100 inspirierendsten Frauen der Welt. Auf ihren Alben hat sich die in Benin geborene Angélique Kidjo schon mit der afrikanischen Diaspora in Brasilien, anderen lateinamerikanischen Ländern, der Karibik und den USA auseinandergesetzt. Zuletzt überraschte sie mit einer erfrischenden und elektrifizierenden Neuinterpretation des kultigen Talking-Heads-Albums “Remain In Light”, die in der Presse hymnisch gefeiert wurde. Die New York Times nannte das Album “transformativ”, NPR Music bezeichnete es als “visionär”, der Rolling Stone als “atemberaubend” und die Washington Post als “eines der lebendigsten Alben des Jahres”. Auf ihrem neuen Album “Celia” zollt Angélique Kidjo nun einer der ganz großen Stil-Ikonen des amerikanischen Doppelkontinents Tribut: der 2003 verstorbenen afrokubanischen Sängerin Celia Cruz. Dabei verzichtet Kidjo auf allen Glamour, um die afrikanischen Wurzeln der “Königin” der Salsa-Musik zu erforschen. Das Genre war Anfang der 1970er Jahre von spanischsprachigen Einwanderern aus der Karibik in New York kreiert worden.
1925 in Havanna geboren, verließ Celia Cruz ihre Heimat kurz nachdem Fidel Castro den Diktator Fulgencio Batista gestürzt hatte. Eine Mexiko-Tournee mit der in ganz Lateinamerika beliebten Band La Sonora Matancera nutzte sie im Juni 1960, um sich in die USA abzusetzen. Dort schloss sich Celia, die aus ihrer Abneigung gegen das Castro-Regime nie einen Hehl machte, 1966 dem Orchester von Tito Puente an. Mit ihren Aufnahmen für Fania Records bereicherte sie den Salsa-Katalog des Labels immens.
Angélique Kidjo erlebte die Flutwelle kubanischer Musik noch in ihrem westafrikanischen Heimatland Benin. Stile wie Rumba, Son und Cha-Cha-Cha hatten sich auf Reisen zwischen den beiden Seiten des Atlantiks entwickelt. Die Musik war in den gleichen Booten wie die Sklaven in die Neue Welt gelangt und kehrte auf Handelsschiffen aus Amerika zurück, um sich in den sechziger Jahren dank des Austauschs zwischen postkolonialen westafrikanischen Regierungen und ihren kubanischen Genossen dort zu etablieren.
Als die junge Angélique Kidjo bei einem Konzert in Cotonou Celia Cruz mit Johnny Pacheco singen sah, hatte sie das Gefühl, sich auf vertrautem Boden zu befinden. Die nächste Begegnung mit der Königin der Salsa hatte sie viele Jahre später in einem Pariser Theater, wo Celia das 1974 von dem Puerto-Ricaner Junior Cepeda komponierte Lied “Quimbará” sang, das ihre Erkennungsmelodie geworden war. In der Stimme von Celia Cruz konnte Angélique damals die afrikanische Perkussion mitschwingen hören. Sie erkannte die Struktur der von den Yoruba gespielten Trommeln wieder und konnte auch die Namen von Changó oder Yemayá heraushören, Göttlichkeiten, die im gesamten Einflussbereich des Voodoo bekannt sind - in Benin, Nigeria, Brasilien, Haiti und selbst auf Kuba, wo es dem marxistischen Regime nicht gelungen war, die Santería-Religion auszulöschen.
Celia besaß den Spitznamen “Café con leche” (Milchkaffee) und begann all ihre Konzerte mit dem kecken Ausruf “¡Azúcar!” (“Zucker!”). “Als ich sie in Cotonou hörte”, erinnert sich Kidjo, “wurde mir klar, mit welcher Art von Frau wir es zu tun hatten!” Und tatsächlich hielt diese Frau, die als Úrsula Hilaria Celia Caridad de la Santísima Trinidad Cruz Alfonso auf Kuba geboren worden war, alle Trümpfe in der Hand, um eine gewisse Angélique Kidjo aus Ouidah, dem Epizentrum des afrikanischen Sklavenhandels des 18. Jahrhunderts, zu verführen.
Die Geschichte der Sklaverei hat Angélique Kpasseloko Hinto Hounsinou Kandjo Manta Zogbin Kidjo (kurz Angélique Kidjo) zutiefst geprägt. Die Sängerin ging 1983 nach Frankreich, um dem diktatorischen Regime von Matthieu Kérékou zu entkommen, und lebt heute in den USA. Kidjo gilt als Erbin von Miriam Makeba, die vor dem südafrikanischen Apartheids-Regime in die USA geflohen war, und der schwarzen Aktivistin Nina Simone, die dem amerikanischen Rassismus den Rücken gekehrt und in Barbados, Liberia und schließlich Frankreich gelebt hatte. Ihre Stimmen hallen in Angéliques neuen Aufnahmen wider.
Als Kidjo 2015 gemeinsam mit den beiden afroamerikanischen Sängerinnen Dianne Reeves und Lizz Wright tourte, unterhielt sie sich mit diesen ausführlich über Celia Cruz. Die drei stimmten darin überein, dass Celia eine besonders starke Frau gewesen war, da sie es geschafft hatte, ein Publikum aus Schwarzen, Latinos und Weißen zu vereinen, was in den USA eine seltene Leistung ist. Und als Angélique Kidjo von den Machern des Sommerfestivals “Celebrate Brooklyn” gebeten wurde, ein neues Projekt für sie auf die Beine zu stellen, organisierte sie ein Konzert zu Ehren von Celia Cruz. Mit dem Programm ging sie anschließend auf eine ausgedehnte Tournee durch Nordamerika sowie Europa und präsentierte es u.a. in der Hollywood Bowl, beim Monterey Jazz Festival und bei Jazz a Vienne.
Um das Projekt auch in ein Album zu verwandeln, holte Angélique den aus Martinique stammenden Multiinstrumentalisten und Arrangeur David Donatien an Bord, der in Frankreich schon mit Stars wie Yaël Naïm, Bernard Lavilliers und Sally Nyolo gearbeitet hat. “Ich wollte ein originelles Projekt schaffen, das sich von den üblichen Mysterien der Salsa unterscheiden sollte”, erklärt Donatien. “Also habe ich die Lieder von Celia nach Afrika verpflanzt. Dem ersten Titel, ‘Quimbara’, verpasste ich gleich eine Art Afrobeat. Und dann wollte ich einen fetten Bläser-Sound. Den lieferten die Musiker der Gangbé Brass Band, mit denen Angélique schon in Benin zusammengearbeitet hatte. Ich schaffte es, die Salsa-Rhythmen über Bord zu werfen und starke Melodien zu finden, denen ich einen anderen Anstrich gab. All diese starken Elemente scharte ich um Angéliques Persönlichkeit. Was ich finden musste, war der Punkt, an dem Afrika in die Moderne überging.”
Das Resultat ist beeindruckend und bietet verführerische Reize: Donatien schmuggelte Elemente äthiopischer Musik in “La vida es un carnaval”, einen von Celias späten Hits, und ein nahöstliches Flair in das Stück “Sahara”, das bereits 1952 von Eligio Varela Mora komponiert worden war.
“Ich bat David, das Repertoire der fünfziger Jahre zu durchstöbern, einer Epoche, als Celia sehr tief mit der schwarzen Kultur verbunden war”, erläutert Angélique. “Ich wollte zeigen, wie konstant sie in den verschiedenen Perioden ihres Lebens in Havanna und New York war.” Das Album endet mit einer stilistischen Übung, einer Destillation des Titels “Yemayá”, den Ezequiel Frias Gomez geschrieben hatte, der schwarze Pianist von Celias erste Band La Sonora Mantecera. Angéliques Gesang und Davids Perkussion zollen hier der Meeresgöttin Yemayá Tribut - und die Rhythmen sind der nigerianischen Jùjú-Tradition entlehnt, auf die Fela Kuti aufbaute, als er mit seinem Schlagzeuger Tony Allen den Afrobeat erfand. Letzterer ist übrigens auf “Celia” neben der Bassistin Meshell Ndegeocello und den sehr angesagten Musikern von Sons Of Kemet auch als Gast zu hören.
Das Album wurde in New York und Paris aufgenommen und von dem Toningenieur Russell Elevado abgemischt, der unter anderem für seine Arbeit mit D'Angelo, Kamasi Washington und Keziah Jones bekannt ist. Celia Cruz liebte Glitzer, Haarteile und ausgefallene Kleider. Passend dazu zeigt das Cover dieses Albums ein Foto von Angélique inmitten einer Blumensymphonie. Die Illustration stammt von dem senegalesischen Künstler Omar Victor Diop, dessen Werke schon in London und in der Vuitton Foundation in Paris ausgestellt wurden. Es ist nicht das erste Mal, dass Kidjo bei einem Album-Cover auf ein Werk eines zeitgenössischen bildenden Künstlern zurückgegriffen hat - das Bild, das “Remain In Light” zierte, stammte von Kerry James Marshall, einem der führenden Repräsentanten der neuen afroamerikanischen Malerei.
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