Camille Bertrault - Pas De Géant
Camille Bertault – Pas De Géant
OKeh/Sony Music / CD (88985422322) / Vinyl (88985432491)
Veröffentlichung: 19. Januar 2018
Frankreichs neuer Jazz-Shootingstar Camille Bertault erregte mit ihren Videos bei Youtube für Aufsehen, in denen sie John Coltranes Giant Steps oder Glenn Goulds Aufnahme der Goldberg-Variationen Ton für Ton mit scheinbar müheloser Leichtigkeit mitsingt. Nun erscheint ihr Album ‚Pas De Géant‘ (‚Riesenschritte‘) bei OKeh.
LIVE:
16.03.2018 Duisburg, Lutherkirche
Der Albumtitel Pas De Géant ist die wörtliche Übersetzung von Giant Steps, John Coltranes historischem Jazzstandard von 1959, den Camille Bertault im Frühjahr 2015 zu einem YouTube-Video machte und Aufsehen damit erregte, wie sie Coltranes Saxophon-Solo Note für Note mit ihrer Stimme imitierte.
Auf ihrem Album Pas De Géant gibt sie dem namensgebenden Titel von John Coltrane einen Text. Zuvor hatte sie Coltranes Sohn Ravi um Erlaubnis gebeten, ihre lustigen, intelligenten und gleichzeitig provokanten Worte mit der Musik zu unterlegen und das Ergebnis einspielen zu dürfen: „Wir trafen uns, ich habe ihm erklärt, wie ich vorgehe, und er war einverstanden.“
Für Bertault ist Coltrane ein größeres Vorbild als Sängerinnen wie Betty Carter oder Ella Fitzgerald. In verblüffender Weise verbindet sie Worte, Rhythmen und Noten, entlockt der schwelgerisch dargebotenen Musik eine wahre Fülle von Bedeutungen – singt rasend schnell, unglaublich sanft, mit wilder Freiheit.
Auf Pas De Géant erlebt man Bertault wie sie in ihrem ganz eigenen Stil ‚Vocalese‘ singt. So versieht sie neben Coltranes Musik z.B. House of Jade von Wayne Shorter mit einem brasilianischen Text und Very Early von Bill Evans mit einem französischen. Doch das ist längst nicht alles. Bertault flitzt durch die Aria aus den Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach und interpretiert französische Popsongs wie Comment te dire adieu von Serge Gainsbourg oder Conne von Brigitte Fontaine und La Femme coupée en morceaux von Michel Legrand. Darüber hinaus hat Bertault auch noch eigene Songs geschrieben. „Ich wollte lieber ein Album machen, das mir stark ähnelt, als eines, das dem dazugehörigen Genre stark ähnelt“, erklärt sie.
Ebenso atemberaubend wie ihr Gesang sind die paradoxen Wendungen, die sie in ihre Texte eingefügt hat. Zum Beispiel bei ihren Kompositionen Certes: „Gewiss, man darf nicht zu viel denken /
Denken und sich den Wanst füllen / Mit fetter Leere und nacktem Sein / Man sollte auf sein Glück achten“ oder Comptes de fées: „Sie ist die Fee, er ist der Graf, / der Graf, der Märchen spinnt / und blumig schmeichelt, / schnell und rasch, Fee Glöckchen Komplimente macht“.
Camille Bertault ist wichtig, dass die Stimme im Mittelpunkt steht. Dafür hat sie das perfekte Team an Mitmusikern gefunden: Trompeter, Multi-Instrumentalisten und Album-Produzent Michael Leonhart und Pianist Dan Tepfer. „Beide sprechen Französisch und sind wirklich am Text interessiert“, freut sich Camille Bertault. Aber auch die anderen Mitwirkenden an diesem Album sind mit der Welt des Chansons vertraut: Stéphane Guillaume am Saxophon, Daniel Mille am Akkordeon, Matthias Mahler an der Posaune, Christophe »Disco« Minck oder Joe Sanders am Kontrabass und Jeff Ballard am Schlagzeug.
Ihr gemeinsames Werk ist weit mehr als ein Album mit Jazz, Chansons oder einem zuvor festgelegten Mix. Pas De Géant ist typisch für Camille Bertault. Es illustriert ihre ungestüme Freude für schnelle Tonfolgen, ihre Feinfühligkeit und ihren unabdingbaren Freiheitsdrang. Coltrane hatte das nicht vorausgesehen, doch man kann sich gut vorstellen, wie er da oben lacht.
Biographie Camille Bertault
Für ihre virtuose Musik schöpft Camille Bertault aus dem Wissen einer modernen jungen Frau, die auf verschlungene, aber besonders starke Wurzeln zurückgreifen kann. Ihr Vater, ein Hobby-Jazzpianist, hat sie immer wieder beim Singen begleitet. Ab acht Jahren lernt sie selbst Klavier und durchläuft den kompletten Konservatoriums-Parcours (Ravel, Debussy, Chopin, Skrjabin), während sie gleichzeitig begeistert den brasilianischen Stilkünstlern lauscht (Elis Regina, Djavan, César Camargo). Außerdem hört sie Jeff Buckley, Björk oder Fiona Apple, Léo Ferré, Barbara oder auch Serge Gainsbourg. Mit 20 Jahren revoltiert sie. Sie klappt ihre Notenhefte zu, sattelt auf Schauspielkunst um, schreibt und spielt Theaterstücke für Kinder. „Zunächst sang ich im Stil eines Cabarets, irgendwas zwischen Erzähler und Komiker. Doch der Jazz holte mich wieder ein.“ Tatsächlich eröffnete ihr die eher zufällige Teilnahme an einem Aufnahmewettbewerb der Pariser Musikhochschule in der Rue de Madrid den Weg zu einem soliden Jazz-Studium in Harmonielehre, Komposition und Gesang. Camille Bertault entdeckte hier die theoretischen Grundlagen, auf denen ihre spontanen Einfälle beruhen und konnte ihre Improvisationskunst und ihre Leidenschaft fürs Cabaret in Einklang bringen.