Chris Dahlgren - Dhalgren

Chris Dahlgren - Dhalgren

Boomslang Rec / Boom0514 / EAN 9120011930514 / Vertrieb: Galileo MC

 

Veröffentlichung: 3. November 2017

 

Die Pubertät, das weiß und erinnert ja im Grunde jeder, ist eine ungemein gemeine Zeit. Selten himmelhoch jauchzend, viel zu oft zu Tode betrübt. Chris Dahlgren ist ihr erst kürzlich wieder begegnet, als er irgendwo Lieder von Donovan hörte. „Ich wusste lediglich, ihn irgendwann schon mal gehört zu haben, ich verband bloß nichts mit ihm. Und dann habe ich mich im Handumdrehen in seine Musik verliebt, besonders in seine frühen Lieder.“ Für ihn sei diese Liebe etwas, dass er erst jetzt erfahre, und zwar zu seiner eigenen Verwunderung. „Auch deshalb natürlich, weil diese Musik aus einer der schrecklichsten Phasen meines Lebens stammt. Ich war jung, unsicher, hatte absolut keine Ahnung, in welche Richtung ich mich orientieren sollte. Wahrscheinlich eine ganz normale Jugend.“

Wahrscheinlich, ja. Doch aus diesem Déjà Vu ist jetzt ein Album entstanden, mit dem weder seine Freunde, noch Chris Dahlgren selbst gerechnet hätten. Viele Jahre galt der 1961 in New York City geborene Musiker als Bass-Koriphäe des Jazz und spielte mit Musikern wie Anthony Braxton und Charles Tolliver. 2003 zog Dahlgren nach Europa, genauer: nach Berlin, wo er seither Ensemblespiel an der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ unterrichtet. Und nun das: Dahlgren singt. Und er komponiert und textet seine Lieder selbst, die als Lieder beinahe unter Wert beschrieben wären. Denn was Dahlgren kreiert, sind Preziosen, sind wie die „viel Perlen aus Regen, aus einem Land, wo Sonne nur brennt“, die einst Jacques Brel seiner großen Liebe versprach. Sein Album heißt nun „Dhalgren“, und die zwei getauschten Buchstaben sind nicht etwa ein Druckfehler, sondern eine Laune des Künstlers.

 Als Sänger ist Dahlgren bisher nur selten in Erscheinung getreten, erst vor acht Jahren habe er akzeptiert, mit seiner Stimme tatsächlich arbeiten zu können. Und das habe bestimmt nicht an der alten Erkenntnis gelegen, dass es immer die Sänger sind, welche die Girls kriegen? „Nein, ganz bestimmt nicht“, lacht Dahlgren. „Vielleicht ist da ja was dran, aber für mich war das kein Grund, zu singen. Ich will ja nicht ’fancy’ werden, nach all den hervorragenden Sängern, mit denen ich gearbeitet habe, besaß ich keinerlei Glauben daran, auch nur entfernt in ihre Nähe zu kommen. Ich wollte nur ich selbst sein.“ Und als er selbst Atmosphären erzeugen, die so nur selten noch zu finden sind, das ist das größte Faszinosum an diesem Album. „Atmosphäre ist enorm wichtig, sie ist wahrscheinlich das Wichtigste überhaupt“, glaubt auch Dahlgren. „Sie erzeugt die Magie von Musik, wenn es sie nicht gäbe, wäre alles umsonst. Sie lässt sich auch in keine Formel fassen, sie hat mit Ehrlichkeit zu tun. Wenn ich auf eine Bühne trete, ist sie entweder da oder wird niemals dort sein. Aber wenn sie da ist, wird der Abend ein Besonderer sein.“ Speziell der Sänger müsse präsent sein, „er kann sich hinter nichts verstecken. Wenn er nicht bereit ist, etwas Extraordinäres zu bieten, macht solch ein Abend keinen Sinn.“

Seine Abende aber machen Sinn. Und es wird nicht lange dauern, bis Dahlgren sich leidigen Vergleichen mit Leonard Cohen oder Tom Waits wird stellen müssen. Hatte er diese beiden tatsächlich im Hinterkopf bei der Produktion seines Albums? „Extrem gute und extrem schwierige Frage“, sagt er. „Man kann diese beiden Musiker nicht einfach ignorieren, ihnen aber auch nicht einfach nacheifern. Obwohl ich ihren Einfluss nicht negieren kann, so trachte ich dennoch nicht danach, es ihnen gleich zu tun. Meine Songs möchte ich sehen als meine eigenen Kinder.“

Und die verfügen zuweilen sogar über ein gerüttelt Maß an Witz. Wenn Dahlgren in seiner Frank Sinatras „New York, New York“ angelehnten Version „Berlin, Berlin“ seine Wahlheimat als „the city that never works“ karikiert, wird daraus eine der schönsten Hommagen an die Spree-Metropole. „Als ich nach Berlin kam“, sagt Dahlgren, „hatte ich den Eindruck, in den Ferien zu sein. In NYC war das niemals so. Berlin ist dermaßen entspannt, ich kann es bis heute kaum fassen.“ Aber das habe seine guten wie auch schlechten Punkte. „Zu den guten zählt, dass du nicht ständig Sklave deines eigenen Überlebens sein musst. So wie in New York. Was ich hier aber vermisse, ist das Feuer, die Notwendigkeit, für das, was du sein und tun willst, wirklich zu brennen. Hier wirst du schnell auch mal ein bisschen müde und träge.“ Das mag zwar stimmen, ist Chris Dahlgrens Album aber niemals anzuhören.

 p.s. die Schreibweise des CD Titels DHALGREN ist übrigens KEIN Druckfehler, sondern ein kleiner ‚Kunst-Griff‘!

 

 

 

Tracklist: (all songs by Chris Dahlgren)

 

1.  Lay Low  4:32

2.  forget your name  3:06

3.  stairs 6:04

4.  everybody loves my hat  4:36

5.  berlin, berlin 3:35

6.  i´m an asteroid 5:48

7.  a child´s spinning top 5:43

8.  steal my blue 4:55

9.  if i could … 4:50