Daniel Schläppi - Essentials
Daniel Schläppi - Essentials Veröffentlichung: 15. Juni 2012
CATWALK/ CW 120010-2/ Ja Kla/harmonia Mundi
Musik jenseits der Grenzen – leise intensiv traumtänzerisch
Kaum hatte sich Marc Copland den fertigen Mix des neuen Albums Daniel Schläppi «Essentials» angehört, setzte er sich an den Computer und mailte seine Eindrücke nach Europa: It really feels like a good project to me. The communication and empathy between us seems very clear. I think Daniel got me in the studio on a good day, this is a very nice CD and I am very happy to have been part of it.
Ein solches Statement darf als gutes Omen für jüngste CD des renommierten Bandleaders und Bassisten Daniel Schläppi genommen werden. Er ist einer der Hauptprotagonisten in der exquisiten CD-Kollektion von wunderbar kreativen Musikaufnahmen höchster Qualität, die das Label CATWALK seit 2006 herausgibt, fungiert er doch auf 8 von 10 Veröffentlichungen als Musiker und Produzent. Kein Wunder, wird Schläppi unter Kennern längst als Aktivposten gehandelt: Grosser Wurf … feinsinnige Musik … eine wahre Freude … Weltklasse (Jazzthing), Höchstgrad an Kreativität (All About Jazz US), Europäischer Jazz der Spitzenklasse … Jazz-Offenbarung (Online Musik Magazin), fulminantes Konzert … hochklassige Tonträger (NZZ am Sonntag), atemraubend (Frankfurter Rundschau), überragende Musikalität (kultura-extra.de), rauschhafte Momente (Deutschlandfunk), emotionale Intensität, die bewegt (Jazzthetik), Sensation (Jazzpodium), unangestrengte, ornettsche Heiterkeit … Worldclass (Weltwoche), Nonkonformist durch und durch (Berner Zeitung) ‒ solche und andere euphorische Attribute hält die Fachwelt für die Konzerte und Tonträger der Bassisten bereit. Es mutet an wie eine logische Konsequenz, dass er 2010 als Anerkennung für seine künstlerische Arbeit ein sechsmonatiges Atelierstipendium in New York gewonnen hat.
Die Donatoren durften sich sicher sein, dass der Kreativarbeiter eine solche Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen würde. Einer, der neben hunderten von Konzerten und viel gelobten CD-Produktionen auch mal ein neues Festival oder einen internationalen Kompositionswettbewerb initiiert, sich politisch für die Interessen von Kulturschaffenden einsetzt und in seiner zweiten Berufung, der Kulturgeschichte, dicke Bücher von Gehalt schreibt, Vorträge auf wissenschaftlichen Kongressen hält und an Universitäten und Kunsthochschulen doziert, bürgt für hochkarätigen Output.
In der Tat packte der Preisträger die Gelegenheit bei Schopf und konnte Marc Copland (by courtesy of Pirouet Records) für eine künstlerische Zusammenarbeit gewinnen. Nachdem der Ausnahmepianist sich durch die Aufnahmen des Schweizer Bassisten gehört hatte, schrieb er per Mail: You get a real nice feel on the bass! Der Grundstein war gelegt ‒ ein Glücksfall! Über Wochen spielten die beiden nun immer wieder daheim in Marcs Wohnzimmer, bis sie das musikalische Sommermärchen schliesslich im renommierten Studio Systems Two in Brooklyn dokumentierten. Entstanden ist dabei das Album Daniel Schläppi «Essentials», die zehnte (!) Produktion, die er seit 2002 unter eigenem Namen realisiert hat und ein weiteres Highlight unter den ausnahmslos exzellenten Veröffentlichungen, die bisher auf CATWALK erschienen sind.
Essenz künstlerischer Evolution
Seit seinem CD-Erstling als Bandleader hat Daniel Schläppi mit seinen Bands durchwegs feines Gespür und ein glückliches Händchen für stimmige Besetzungen bewiesen. In vielbeachteten Kooperationen mit herausragenden Exponenten der jüngeren europäischen Szene wie Tomas Sauter, Domenic Landolf, Colin Vallon, Nils Wogram u.a.m. hat er sich als vielseitiger Ideenlieferant (Aargauer Zeitung) profiliert. Als Spieler gilt er als verlässlicher Begleiter und einfallsreicher Solist (NZZ am Sonntag), Meister der groovenden Sounds (Berner Zeitung), als Partner mit grossem Sound (Radio DRS). Sein Bass wurde schon als Gravitationszentrum (Weltwoche) oder mächtige Drehscheibe (Radio DRS) bezeichnet.
Aller Begabung und Fertigkeit zum Trotz stellt sich Schläppi stets in den Dienst der Gruppe, und fokussiert mit seinem Spiel auf die angestammten Aufgaben des Basses: Solides Fundament, die Gruppe gut klingen lassen, als Motor das Kollektiv vorantreiben, die Musik zum Schwingen bringen. Dabei gilt: Je grösser die Gruppe, desto enger das Korsett, in dem sich der Bass bewegen kann. Wahrscheinlich hat sich Schläppi deshalb seit einigen Jahren vermehrt auf Konzerte und packende Aufnahmen mit schlagzeuglosen Trios und Duos konzentriert. In diesen luftig besetzten Ensembles sind alle Beteiligen gleichberechtigt. Die traditionellen Funktionen weichen sich auf und werden wechselweise weitergereicht. Und aus der Perspektive des Basses die wichtigste Errungenschaft: Dank klanglicher Transparenz kann der Bass endlich sein orchestrales Soundspektrum und die ganze dynamische Bandbreite des Instrumentes ausschöpfen.
Auf dem Weg zum Wesentlichen, den der Bassist als Bandleader und Instrumentalist seit längerem beschreitet, markiert das Album Essentials einen wichtigen Markstein. In den Aufnahmen, die Daniel und Marc gemeinsam eingespielt haben, wird denn auch die immense Erfahrung hörbar, die beide Spieler in entschlackten musikalischen Gefügen gesammelt haben.
Duo als musikalische Kommunikation in Essenz
Wer sich im Jazz je in der Reduktion versucht hat, wird das Duo als Paradedisziplin, als Mass der Dinge erlebt haben. Es liegt auf der Hand: keine andere Besetzung birgt so viel Potential für Interaktion und Kommunikation im Moment wie das Duo. Das Zwiegespräch birgt aber auch Gefahren. So verkommt die dialogische Form schnell zum aufgesetzten, marktschreierischen Frage-Antwort-Spiel, zum Telefonat zwischen Autisten, bei dem am Schluss niemand mehr weiss, worüber eigentlich gesprochen wurde. Betörende Brillanz und die Banalität des Bipolaren liegen oft näher beieinander, als es die Beteiligten denken würden.
Daniel und Marc driften in keinem Moment in seichte Gefilde ab. Fernab jeglicher Klischees kreieren sie gemeinsam einen Flow, in dem sie sich beide treiben lassen und in den Strom der Empfindungen eintauchen. Sie fungieren wechselweise als Partner und Impulsgeber, als Alter Ego und Kommentator und eröffnen sich so ungeahnte Räume und Perspektiven. In diesem Gespann bleiben Eitelkeiten und Routinen aussen vor. Interaktion manifestiert sich als echter Austausch, Kommunikation beruht auf Gegenseitigkeit.
Sich so getragen zu wissen, sich verlassen zu können, schafft ist die Grundlage, um sich gehen lassen, von den vertrauten Pfaden abweichen und das Geschehen dem Moment überlassen zu können. In Betracht der unendlich vielen Freiheiten und Möglichkeiten, die als echte Jetztkunst praktizierte Musik in jeder Millisekunde offen lässt, ist gewollt organisierter Kontrollverlust das ideale Rezept um selbst aus gefährlicher Fallhöhe immer wohlbehalten auf den Füssen zu landen.
Traumtanz zu beglückenden Hörerlebnissen
Daniel Schläppi und Marc Copland kreieren eine traumtänzerische Musik, lassen alles in der Schwebe und demonstrieren dabei ein Interplay der besonderen Art, wie es selten zu hören ist. Über Reduktion und Weglassung zur Essenz, könnte das Programm zu dieser Produktion heissen. Bald bereitet ein magistraler Bass ein breites Bett für den unerschöpflichen Ideenfluss des betörenden Melodikers am Klavier. Bald wechseln die Rollen.
Copland, der leise Gigant von Weltrang, ist ein Meister des Akkordischen, ein Magier der Vielstimmigkeit. Wenn er seine unverkennbaren Voicings ineinander verschachtelt und dann wieder überraschend auflöst, hat das etwas ungeheuer Somnambules – wie wenn man einem Schlafwandler beim sicheren Balanceakt über den Hausfirst zuschaut. Dazu kommt sein unvergleichlich feiner, samtiger Anschlag und seine stupende Pedaltechnik. Das Resultat dieser Mixtur ist überwältigende Klavierkunst, welche die Hörenden in ein ätherisches Fluidum entführt und Raum und Zeit zu Klang verschmelzen lässt.
Mit Können und Intuition spielt sich das Duo durch einige der schönsten Standards. Wunderbar die Leichtigkeit von Yesterdays. Mit gleichsam schwereloser Langsamkeit berückt eine Version von Never Let Me Go, in der sich das Tempo zeitweise verflüchtigt ‒ ein Lehrstück in Balladeninterpretation und Agogik. Work Song überrascht mit einer kreativen Adaption der Melodie, die das altbekannte Themas in neues Licht rückt. Beim federleichten Groove von My Romance beginnt man unwillkürlich mitzuschwingen wie auf Überlandfahrt in einem Cadillac.
Ob Material aus der Tradition frisch klingt, ist eine Frage der Gestaltungskraft der Interpreten. Daniel und Marc machen sich in Bildhauermanier an den erratischen Blöcken des Jazzrepertoires zu schaffen. Unter ihren Händen entstehenden zauberhafte akustische Plastiken, die uns verstehen lassen, dass ein blosser Steinklotz erst in der Bearbeitung zur Kunst wird. Den beiden Musikern gelingt es selbst einer 9minütigen Version von The Meaning Of The Blues, die Spannung in jedem Moment zu oberst zu halten und das Wesentliche aus der rudimentären Akkordfolge herauszuholen. Mit Between Now And Then steuert Marc Copland eine stimmungsstarke Komposition bei, in der er sein Spiel voll und ganz entfalten kann.
Frappant sind die mit Essential betitelten Zwischenspiele, ihrem Wesen nach kontrafaktische Kommentare zu den komponierten Stücken. Ein Teil davon sind improvisierte Soloexkurse am Kontrabass, in denen Schläppi mit technischer Souplesse und spontaner Inspiration die Höhen und Tiefen seines Instrumentes erkundet und dabei faszinierende Nuancen von Artikulation und Klang hervorzaubert. Die gemeinsamen Impros (Nrn. 4, 6, 13) verblüffen mit sekundenschnellen Wechseln in Tonlage und Intensität, symbiotischem Harmonieverständnis, spektakulären Übergängen sowie abgerundeter Dramaturgie und formaler Stringenz ‒ als handelte es sich um fertige Kompositionen.
Um im völlig freien Spiel solch beglückende Hörerlebnisse zu kreieren, braucht es grosse Ohren, einen freien Geist und viel Erfahrung. Ein Understatement wie es Daniel und Marc in ihren improvisierten Exkursen an den Tag legen, ist exzeptionell, und es erklärt, warum selbst klassische Formen wie der Ornette-Rhythm-Change The Face Of The Bass oder der Über-Blues Things Ain’t What They Used To Be plötzlich so unverbraucht klingen. Dann nämlich, wenn es gelingt, in den vorgegebenen Rastern der Standards die volatile Atmosphäre der Spontanimprovisationen heraufzubeschwören.
Höchste Klangkultur
Wunderbar, was ihr da gemacht habt! flüsterte Gérard de Haro, vielgefragter Soundmagier im Studio La Buissonne (ECM), an der Mischkonsole sitzend beim Kontrollhören der gemixten CD. Wie zum Beweis hielt er dem Produzenten seinen hühnerhäutigen Arm unter die Nase und fragte, ob er sich ausnahmsweise eine private «Raubkopie» der noch unveröffentlichten CD brennen dürfe. Hohes Lob aus berufendem Munde ‒ zumal von einem Meister des Fachs, der seit Jahren Tag für Tag Jazzgrössen aufnimmt und dabei ein untrügliches Sensorium für die feinen Unterschiede entwickelt hat. Doch der verzückte Gérard unterschlug bei aller Bewunderung seinen eigenen Beitrag zu der Produktion. Marc Copland holte das Versäumnis mit seinem Kommentar zum Sound der CD nach: The shit sounds great ‒ Gérard and Daniel did a wonderful job with the sound, that’s just how I like it!
Von Klangästheten Copland war bereits die Rede. Daniel Schläppi steht ihm punkto maximaler Ansprüche an den Sound nicht nach. Der Filigrantechniker und Vollakustiker hat sich sogar ein seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechendes Instrument bauen lassen und jahrelang mit verschiedenen Saiten experimentiert. Zuletzt Schliesslich ist er bei einem Darmsatz von Pirastro gelandet. Auch die Weltfirma ist vom Ergebnis angetan. Seit 2010 ist Schläppi Endorser. Essentials klingt transparent, vielschichtig und tiefenräumlich wie selten ein Album. Naturklang und Präsenz der Aufnahme machen die Musik wie mit Händen greifbar ‒ und sei es nur, dass man Intro von Solar Marcs Beinarbeit miterleben darf …
www.marccopland.com > Marc Copland appears by courtesy of Pirouet Records