Erik Leuthäuser - Wünschen

Erik Leuthäuser – Wünschen

MPS / EDEL:Kultur    EAN 4029759119876                                                              

Veröffentlichung: 04. Mai 2018

 

Live:

10.05.2018        Berlin                  Orania / XJAZZ

15.05.2018        Berlin                  A-Trane

17.05.2018        Hamburg            Stage Club

 

29.06.2018        Dresden             Jazzclub Tonne

 

Von nichts kommt nichts. Wer es sich leisten kann, schon in jungen Jahren auf Distanz zu seinen Vorbildern zu gehen, der muss auf einem soliden Sockel des Lebens stehen. Woher sollte er sonst seine Geschichten nehmen? Natürlich wachsen diese Talente nicht an jeder Straßenecke aus dem Boden. Doch wenn man sie sucht, dann kann man sie finden.

Erik Leuthäuser ist ein junger Sänger aus Berlin. Die unterschiedliche Entstehungsgeschichte der Songs auf seinem Album „Wünschen“ erzählt viel über ihn selbst. Einige, wie Friedrich Hollaenders „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ hat er neu interpretiert, andere sind vertonte Gedichte, zum Beispiel von Dorothea Kehr, wieder andere sind Standards von Wayne Shorter oder Duke Ellington, die Leuthäuser mit einem deutschen Text versah, und schließlich gibt es auch noch einige Lieder, die komplett aus der eigenen Feder stammten. Manches auf der CD hat man in der einen oder anderen Form schon einmal gehört, doch Leuthäusers Interpretationen sind beileibe keine Coverversionen, sondern im positivsten Sinne des Wortes Aneignungen. Sowie er sie singt, scheinen sie nur noch ihm und seinen Hörern zu gehören. Aus der prallen Buntheit des Lebens greift er eine ganze Palette von Themen auf, die ihn persönlich umtreiben, bündelt sie im engen Fokus seines persönlichen Wertesystems, um sie sogleich auf die größtmögliche Leinwand der gesellschaftlichen Reflexion zurückprallen zu lassen. Am Ende ist es ganz egal, woher und wie diese Lieder zu ihm kommen, sie sind einfach nur noch Leuthäuser. „All das ist sehr persönlich“, bestätigt der scheue Extremist. „Ich habe genauso wenig auf die Stilistik geachtet wie auf ein Zielpublikum. Ich habe einfach all meine musikalischen Ideen zusammengeschnürt und Musik draus gemacht.“

So einfach kann das gehen. „Wünschen“ wirkt wie ein Film, der gleichzeitig über das Heute und Gestern, das Innen und Außen erzählt, der Antworten gibt, aus denen neue Fragen entstehen, in dem Hoffnung aufs und Angst vor dem Leben zu Ein und Demselben verschmelzen. Ein universales Statement, das nicht zuletzt deshalb so berührt, weil es alltägliche Sinneswahrnehmungen überhöht und den beiläufigen Blick auf die kleinen Dinge des Lebens zu Panoramagröße aufwirft. Diese Beiläufigkeit, mit der jedes Wort, jeder Ton, jede noch so verschwindende Beobachtung, aber auch alles nicht Gesagte und nicht Gespielte Sinn und Bedeutung erfährt wird bei Leuthäuser bis zum Exzess gesteigert. Dass es trotzdem immer authentisch und niemals aufdringlich wirkt, liegt vor allem daran, dass der Sänger völlig angstfrei ist. Er weiß genau, was jeder Song braucht, wie weit er dafür gehen kann, und wann er sich zurückziehen muss, sobald er doch mal eine Grenze überschritten hat. In der Wucht des Lebens Leichtigkeit zu finden, ist seine große Gabe. Nicht nur auf der CD geht er sehr offen mit seinen Innenwelten um. „Ich bin vielleicht ein wenig exhibitionistisch veranlagt und habe mir durchaus manchmal überlegt, ob das zum Problem werden könnte. Aber dann merkte ich, dass es mir eigentlich völlig egal ist. Ich will ehrlich zu mir selbst zu sein, als Mensch wie als Musiker. In einer Doku über Nina Simone wurde mir bewusst, dass es keinen Unterschied zwischen ihrer Privat- und Künstlerpersönlichkeit gab. Das war der ausschlaggebende Punkt für mich zu sagen, ich will alles, was in mir ist, in Musik packen. Musik ist der Raum, in den man die innersten Angelegenheiten nicht nur gut unterbringen kann, sondern in dem sie auch geschützt sind.“

Um all diese Emotionen und inneren Zustände zugleich zum Ausdruck bringen zu können, loopt und vervielfältigt sich Leuthäuser, so als müsste er den beschrieben Schutzraum mit so vielen Varianten seiner selbst wie möglich ausfüllen. Um in der Fülle des Materials und der Gefühle nicht komplett auszuufern hat sich Leuthäuser einen klaren thematischen Rahmen gesetzt. Dabei hatte er ursprünglich gar kein Konzeptalbum im Sinne. „Mir sind Stücke über den Weg gelaufen, die ich unfassbar mochte, von denen ich aber nicht genau wusste, in welche Verbindung ich sie zueinander setzen kann. Als ich konkret an den Songs zu arbeiten begonnen hatte, wurden mir die Verbindungen klar. Der Film ‚Der letzte Tango in Paris’ ist eigentlich sehr depressiv. Es geht jedoch immer um Übersetzungen. Als ich den Song in Verbindung mit ‚Wenn ich mir was wünschen dürfte’ setzte, ergab das plötzlich einen roten Faden. Das Thema ist Sehnsucht.“

Erik Leuthäuser selbst bezeichnet sein Album als düster mit warmen Momenten. Er lässt sich selbst aber so viel Gestaltungsspielraum, dass der Hörer den Einfall des Lichtwinkels unabhängig bestimmen kann. Und wenn die Stimmung tatsächlich mal gedämpft ist, lässt Leuthäuser den Hörer niemals allein. Das, so findet er, hat die Kunst dem Leben voraus. Wo wir im Alltag kneifen, können wir uns in der Kunst voll ausleben. Und wo das Leben manchmal keinen Ausweg zeigt, gibt es in der Musik immer Hoffnung. „Wünsche“ ist somit eine Art Selbstporträt mit offenem Ausgang.

Dass dieses Porträt Porträt sehr facettenreich ist, liegt in erheblichem Maße an der Fähigkeit seiner Mitmusiker, sich auf Leuthäusers Auslassungen einzulassen. Weltenwanderer Greg Cohen spielt nicht nur Bass, sondern hat das Album kongenial als Produzent betreut. Selbst ein begnadeter Geschichtenerzähler, hat er unter anderem für Tom Waits und John Zorn Bass gespielt und war in Robert Altmans Film „Short Cuts“ zu sehen. Gitarrist Kurt Rosenwinkel und Drummer Joey Baron sind ebenfalls gestandene Größen der New Yorker Jazz-Szene. Als zweiter Drummer ist Earl Harvin zu hören, der das expressive Understatement der Tindersticks mit in Leuthäusers Produktion trägt. Mit dem österreichischen Pianisten Elias Stemeseder, der schon mit Jim Black Erfolge feiern durfte, und dem isländischen Gitarrist Daniel Bodvarsson ist Leuthäuser seit dem Studium persönlich eng verbunden.

Man muss es klar sagen, und es ist in diesem Fall keine Übertreibung: Ein Album wie „Wünschen“ hat es noch nicht gegeben. Vergleiche? Fehlanzeige. Die unwiderstehliche Kraft dieses Liederzyklus liegt in der Einheit seiner Widersprüche, die sich nicht nur in der Themensetzung und der Wahl der musikalischen Mittel ausdrückt, sondern eben auch in der Besetzung mit Musikern unterschiedlicher Generationen, Kontinente und musikalischer Auffassungen. Ein Album, so umfassend wie das Leben selbst, und so bunt und unvorhersehbar wie ein Film der Coen Brothers.