Frank Wuppinger Arkestra - Places And Roots

Frank Wuppinger Arkestra – Places And Roots

Berthold Rec / EAN 4250647300230 /Vertrieb: JA KLA / Helikon Harmonia Mundi

Veröffentlichung: 13. November 2015

 „Wenn wir in Nürnberg Konzerte spielen, schlendern oft Touristen aus Osteuropa an der  Bühne vorbei.  Da kommt es schon vor, dass sie plötzlich ihr Handy zücken und ihrem Gesprächspartner fassungslos berichten, was sie hier gerade erleben. Dass eine deutsche Band Songs aus ihrer Heimat präsentiert, empfinden sie als völlig verrückt.“

Wenn Frank Wuppinger solche Anekdoten zum Besten gibt, leuchten seine Augen vor Begeisterung. Vor allem dann, wenn die Zuhörer Herkunft und Eigenwilligkeit seiner Kompositionen erkennen. Die Musik seines Arkestras ist vielschichtig. Sie lässt unterschiedlichste Einflüsse erkennen – und steht doch für sich allein.  Eine aufregende und pulsierende Brücke zwischen Jazz und Weltmusik.

Das neue Album „Roots & Places“ ist eine Melange aus bulgarischer und griechischer Folklore, Zigeunermusik und Stücken, die aus Wuppingers Feder stammen. „Sprungtime“ etwa – eine  Ode an die malerischen Sonnenuntergänge an den Küsten Kroatiens und Südfrankreichs, an denen sich der Franke kaum sattsehen kann. Die wunderschöne Melodie und die jazzbasierte Rhythmik verfangen sofort im Ohr. „Bolsevika“ – das auf einer  alten griechischen Melodie basiert - lebt dagegen vom unwiderstehlichen, pulsierenden Groove der Bläsergruppe. Emotionaler Höhepunkt ist jedoch das emotionale, an ein Klagelied erinnernde „Gelem Gelem“. Eine traditionelle Weise aus dem ehemaligen Jugoslawien, die von der Wanderschaft der  Roma und ihrer vergeblichen Suche nach einem Platz zum Leben erzählt. „Mit unserem Arrangement wollen wir uns vor den vielen Sinti und Roma verneigen, die Opfer von Volkermorden wurden“, erklärt Wuppinger. „Ein sehr trauriges und dunkles Kapitel in der europäischen Geschichte, weshalb das Stück für uns eine zentrale Rolle auf dem Album einnimmt.“

Die erwähnten Kompositionen voller Kontraste verdeutlichen eindrucksvoll, wie breit das Frank Wuppinger Arkestra musikalisch aufgestellt ist. Die individuelle Handschrift der einzelnen Musiker und die kluge Mischung aus traditionellen und modernen Elementen – das ist das Rezept, mit dem die Band ihr Publikum in den Bann zieht.

Frank Wuppinger erblickt 1973 in München das Licht der Welt. Als Achtjähriger beginnt er, akustische Gitarre zu spielen. „Der Einfluss meines Vaters“, erklärt der Franke.  „Er hat gern in die Saiten gegriffen. Richtig gut ist er jedoch nie geworden, weil ihm dafür schlicht die Zeit fehlte.“ Eins war Wuppinger Senior jedoch enorm wichtig: zumindest einer seiner Söhne sollte fundierten Musikunterricht erhalten.  „Mit 12 oder 13 habe ich meine Leidenschaft für den Blues entdeckt und als ich 15 war, wollte ich unbedingt E-Gitarre spielen“, erinnert sich Wuppinger. Doch sein Vater winkt ab mit der Begründung: zu teuer! Doch der Filius lässt nicht locker.  Er eröffnet seinem Vater, dass er die Sache selbst in die Hand nehmen werde. Gesagt, getan. Während der Vater weiterhin den Unterricht auf der akustischen Gitarre bezahlt, wird der Sohn in Punkto E-Gitarre zum Autodidakten. Nach kurzer Zeit hat er ein Trio auf die Beine gestellt.  Dessen Sound ist eine eigenwillige Mischung aus Zappa, King Crimson und Eigenkompositionen. „Ich war schon immer ein bisschen speziell“, schmunzelt Wuppinger. „Kein gradliniger Typ, eher der Hippie.“

 

Gemeinsam mit einem Freund beschließt Wuppinger, sein Glück einige Wochen lang als Straßenmusiker zu versuchen. Warum auch nicht? Beide sind jung, kinderlos und auch sonst frei von jeglichen Verpflichtungen. Dennoch: ein mutiges Unterfangen, das sie prägen und zusammenschweißen wird. Mit einem Kleinbus, den sich Wuppinger bei seiner Schwester leiht, geht es los. Kurz nachdem sie die Grenze zu Österreich passiert haben, knallt ein Stein in ihre Windschutzscheibe. „Da wir sie nicht austauschen konnten, haben wir sie notdürftig mit Plastik ausgebessert und sind einfach weitergefahren“. In Mailand scheint sich alles zunächst zum Guten zu wenden. Ihre Auftritte als Straßenmusikanten bringen ihnen ordentlich Geld ein.

Über Florenz geht es weiter nach Rom. Am Circus Maximus parken die jungen Männer ihren Bus und setzen ihre  Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln fort. Im Zentrum angekommen, führt sie ihr erster Weg in ein Plattengeschäft.  Objekt der Begierde: ein Sampler mit dem Song „Volare“, um die Passanten in der Fußgängerzone mit einem italienischen Lied auf der Gitarre beglücken zu können.  Doch statt Glück erwartete sie Frust.  „Als wir zurückkamen, rieben wir uns verwundert die Augen, denn unser Bus war weg.  Am helllichten Tag geklaut!  Geld, Gitarren, Klamotten – alles futsch! Und jetzt standen wir da: zwei total naive Jungs aus Deutschland, die jetzt sehen mussten, wie sie nach Hause kommen. Eine total verrückte Woche zwischen Himmel und Hölle.“

Eine Reise, auf der Frank Wuppinger alles verliert, was er hat. So könnte, so muss man es wohl sehen. Dass diese Erfahrungen auch ihr Gutes haben, zeigt sich erst später. „Als Straßenmusiker lernt man, sich vor Publikum zu beweisen. Du stehst mitten auf einem belebten Platz und rufst: Hey, hier bin ich, schaut und hört mir zu! Ich musste meine Schüchternheit überwinden, die Leute unterhalten und ausblenden, was uns gerade passiert war. So etwas härtet ab, das wird einem nicht in die Wiege gelegt“, zieht Wuppinger rückblickend eine versöhnliche Bilanz des Italien-Trips.

Nach Abschluss seines Studiums an der Musikhochschule Nürnberg (Diplom-Musikpädagogik, Hauptfach Jazzgitarre) zieht es ihn nach Mazedonien. Im Schlepptau eine Band, die Zigeunermusik mit einer Prise Jazz und Rock garniert. „Wir wollten die Mazedonier nicht zum Jazz bekehren“, stellt Wuppinger klar. „Das sollte mehr ein Statement sein:  dass wir es  fantastisch finden, was die Musiker hier machen und wir lediglich versuchen wollen, das in unsere eigene musikalische Sprache zu übersetzen.“ Ein Ansatz, der von den Mazedoniern sehr goutiert werden sollte. 

Mit dem „Orchestra Europa“ spielt Wuppinger drei Alben ein, ehe sich die  Band im Jahr 2011 auflöst. Nachfolger wird das personell völlig neu besetzte „Frank Wuppinger Arkestra“. Ein Ensemble, dessen Mitglieder Folklore  mit Jazz, Flamenco und klassischen Tönen vermischen und dabei viel Raum für Improvisation lassen. In dieser äußerst lebendigen, herzerwärmenden Mixtur gehen traditionelle nahtlos in moderne Klänge über. Musik, die zielsicher im Ohr verfängt, ohne eine gewisse Komplexität vermissen zu lassen.

Der Rumpf des Arkestras besteht aus einem Quartett:  Gustavo Strauß (Geige), Marco Kühnl (Bass); Matthias Rosenbauer (Schlagzeug) und Frank Wuppinger (Gitarre). Dazu gesellen sich Tino Derado (Akkordeon), Norbert Emminger (Saxofon), Andrey Lobanov (Trompete) und Frances Pappas. Die griechisch-kanadische Sängerin läuft Wuppinger beim Internationalen Kammermusikfestival in Nürnberg über den Weg. Seither bereichert sie das Ensemble als Gastsängerin – und nicht nur das. Mit Ozan Coskun schleust sie gleich noch einen weiteren hochkarätigen Musiker ins Ensemble ein. Mit seinem filigranen Spiel auf der Oud – einer Kurzhalslaute aus dem Orient – veredelt der junge Gitarrist aus der Türkei den Sound des Arkestras, das sowohl auf musikalischer, als auch auf menschlicher Ebene prächtig harmoniert.  „Wenn wir zusammenarbeiten, herrscht  Wohlfühl-Atmosphäre pur. Alle sind total entspannt, hochproduktiv und haben Spaß“, schwärmt Wuppinger vom Arbeitsklima seines Klangkörpers.