James Brandon Lewis - Days Of Freeman
James Brandon Lewis - Days Of Freeman
OKeh/Sony Music / EAN 88875082762 Veröffentlichung: 05. Juni 2015
„Der Hip-Hop wurde mir nicht in die Wiege gelegt, aber dort, wo ich aufwuchs – in der Freeman Street in Buffalo, Bundesstaat New York – war der Hip-Hop-Sound in den 90er Jahren allgegenwärtig. Deshalb habe ich mich dafür entschieden, diese Zeit musikalisch zu erkunden.”
Das bisher kühnste, aber zugleich am leichtesten erfassbare künstlerische Projekt des visionären Komponisten und Tenorsaxophonisten James Brandon Lewis, Days of FreeMan, beginnt mit dem anrührenden und tiefsinnigen Eingangsmonolog einer weisen Muttergestalt. Ihre Botschaft lautet: „Bleibe im Leben immer du selbst. Versuche nicht, in eine andere Haut zu schlüpfen. Nutze die Gaben, die Gott dir gegeben hat. Schau in den Spiegel und sage laut: Ich bin James Brandon Lewis.“
Anschließend begleiten Kontrabass und Schlagzeug das saphirblaue melodische Motiv des Eingangstitels „Brother 1976“ und erinnern so an eine jener prägnanten jazzartigen Hooklines einer Hip-Hop-Jam aus den 1990er Jahren. Es kommt einem hier vor, als wäre dies die Antwort eines grandiosen Innovators des Jazz auf die Faszination, die der Jazz damals auf den Hip-Hop ausübte. Willkommen bei Days of FreeMan.
James Brandon Lewis gehört heute zu den Titanen des Tenorsaxophons. Er erntete viel Lob von meinungsbildenden Kulturzeitschriften wie Ebony, die ihn als eines der sieben größten Talente seiner Zunft bezeichnete, und verdiente sich den Respekt einer ganzen Palette angesehener Künstler. Lewis ist mit großen Namen aufgetreten, darunter Benny Golson, Geri Allen, Wallace Roney, die Grammy®-Preisträgerin Dorinda Clark Cole und die 2010 verstorbene „Königin der Gospel Music“ Albertina Walker.
Lewis setzt sich in seinem künstlerischen Kosmos kühn mit Fragen der Identität und der Spiritualität auseinander und bedient sich dazu anspruchsvoller und beeindruckender Konzepte sowie einer Spielweise, in der formgebundene Technik, Experimentierfreudigkeit und Anklänge an Gospel und Blues miteinander verschmelzen. Jedes neue Album von James Brandon Lewis bietet einen gehaltvollen Dialog mit seinem Publikum, der sowohl das Gefühl als auch den Verstand anspricht. Für seine dritte CD, Days Of FreeMan, verwendet er Elemente des Hip-Hop der 90er Jahre, um kulturelles Selbstverständnis, generationenübergreifende Identität und persönliche Vorstellungen in meisterhafter Weise miteinander zu verknüpfen.
„Der Hip-Hop wurde mir nicht in die Wiege gelegt, aber dort, wo ich aufwuchs – in der Freeman Street in Buffalo, Bundesstaat New York – war der Hip-Hop-Sound in den 90er Jahren allgegenwärtig“, erklärte Lewis. „Deshalb habe ich mich dafür entschieden, diese Zeit musikalisch zu erkunden.”
Days Of FreeMan ist sehr fantasievoll in Kapitel untergliedert. Wie beim kultur- und generationenübergreifenden Mosaik auf der Freeman Street wird der Hörer immer wieder zu einem Dialog eingeladen. Das Album ergründet auf höchst originelle Weise die Reimschemata und musikalischen Konventionen des goldenen Zeitalters dieser Musikrichtung. Es erkundet auch die kulturelle Bedeutung des Hip-Hop, indem es Anregungen aus den vier ursprünglichen Säulen des Hip-Hop bezieht: Tanz, Rap, Graffiti und DJing. Days Of FreeMan ist auch ein nostalgischer Rückblick auf eine unbeschwerte Jugendzeit, in der man sich Spitznamen ausdachte, Basketball spielte und zum ersten Mal mit der überwältigenden Kraft der Musik konfrontiert wurde. Diese Komponente gewinnt noch an emotionaler Intensität durch Aussagen zur Liebe, zur Identität und zu Gott, die das gesamte Album durchziehen und aus Gesprächen entstammen, die James Brandon Lewis mit seiner Großmutter Pearl führte und aufzeichnete.
Um seine Vorstellungen für Days of FreeMan zu verwirklichen, leistete Lewis intensive kreative Vorarbeit, verbrachte bis zu acht Stunden täglich mit dem Studium von dokumentarischem Material über den Hip-Hop und befasste sich eingehend mit Alben von KRS-One, Digable Planets, Pete Rock & CL Smooth, A Tribe Called Quest und Medeski, Martin & Wood sowie mit dem 1985 erschienenen Album Home Boy des risikofreudigen Jazztrompeters Don Cherry und mit Lauryn Hills Meisterstück aus dem Jahre 1998, The Miseducation Of Lauryn Hill.
Das musikalische Ergebnis all dieser Vorbereitungen ist einfach umwerfend. Über viele Jahren hielten Instrumentalisten an dem hehren Ideal des „Singens mit dem Instrument“ fest, aber in Days Of FreeMan bemüht sich Lewis, mit seinem Tenorsaxophon die Rolle des Rappers einzunehmen. Der Track, der dem Album seinen Titel gab, fängt eindrucksvoll die zackige Sprechweise eines Meisters dieser Kunst ein, wobei sich sprachähnliche Abschnitte und lange Solopassagen abwechseln und so eine mitreißende Battle-Rap Session im Freestyle-Format heraufbeschwören. „Black Ark“ folgt den Spuren des Hip-Hop von den bahnbrechenden Dub-Experimenten eines Lee „Scratch“ Perry in Jamaika („Black Ark“ heißt sein berühmtes Tonstudio) bis zu den ersten grellen Hip-Hop-Klängen in der Bronx. In „Lament for Jlew“ verknüpft Lewis in fünf Minuten voller Dynamik die Verbindungslinien zwischen klassischer Musik und Hip-Hop mit denen zwischen Klassik und Rock und verwendet zur Veranschaulichung der Zusammenhänge Originalmotive mit klassischem Einschlag.
Der vorletzte Titel des Albums Days Of FreeMan ist der politisch angehauchte und sehr aktuelle Track „Unarmed With A Mic“, der daran erinnert, welche Durchschlagskraft der Hip-Hop als Ausdruck des Protests besaß. Den Schlusspunkt bildet „Epilogue“, in dem die eingängige Melodie des Eingangstitels „Brother 1976“ noch einmal aufgegriffen wird.
Begleitet wird Lewis auf diesem Album von Jamaaladeen Tacuma, der früher der Formation Prime Time von Ornette Coleman angehörte, von dem Gitarristen Bill Frisell und dem Schlagzeuger Rudy Royston, der unter anderem mit Ravi Coltrane auftrat. Beide nahmen das Projekt sehr ernst und befassten sich mit Hip-Hop-Jams der 90er Jahre, um daraus Ideen und Anregungen zu schöpfen. Ihr Interesse an der musikalischen Sprache der Zeit, die Lewis zu ergründen suchte, ihre breit gefächerte Musikalität und ihr musikalisches Einfühlungsvermögen korrespondierten mit den künstlerischen Intentionen von James Brendon Lewis, der eine authentische und überzeugende Verschmelzung von Genres und Kulturen anstrebt, ohne dabei Zugeständnisse an Trends im Jazz-Groove-Bereich zu machen. Das Album enthält auf dem Track „Days of FreeMan“ auch einen Gastauftritt des begabten Freestyle-Rappers Supernatural.