Jazz'n'Spirit - Secundo
Jazz'n'Spirit – Secundo Veröffentlichung: 1. März 2012
Berthold Records/Audiomax / Vertrieb: JaKla!/Harmonia Mundi
Jazzimprovisation auf die europäische Musik der Renaissance und des Frühbarock mit ihrer großen melodischen Klarheit und Schönheit. Europäische Traditionen in der Auseinandersetzung mit Jazzexkursen.
Es ist einigermaßen erstaunlich, wenn sich ein Jazztrio mit seinem Debütalbum gleich in der Vierteljahres-Bestenliste beim Preis der deutschen Schallplattenkritik wiederfindet.
So geschehen bei Jazz’n’Spirit mit ihrer CD „Continuum“, die 2010 erschienen ist, und es sogleich in die Januar-Bestenliste des Jahres 2011 schaffte. Allerdings ist das, was Jazz’n’Spirit darauf vorstellen auch so ungewöhnlich und mutig, das Zusammenspiel des Trio so rund und ausgewogen, die Aufnahme so qualitativ hochwertig, dass es dann doch kein Wunder ist.
Jazz’n’Spirit, das sind Dirk Piezunka (Tenor-, Sopransaxophon, Bassklarinette), Martin Flindt (Konzert- und Westerngitarre) und Jens Piezunka (Kontrabass, Stimme) haben sich sakraler Musik der Renaissance und des Barock angenommen. Was im US-Jazz beinahe seit Anbeginn, also der „Erfindung“ des Jazz, durchaus die Regel ist, sich nämlich mit den Melodien von Spiritual und Gospel auseinanderzusetzen, hat im europäischen Jazz keine sonderliche Tradition. Verswingter Bach à la Jacques Loussier oder Swingle Singers aus den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sowie ein paar verstreute Einzelaufnahmen (besonders gern zur Weihnachtszeit) – viel mehr findet sich nicht. Dabei bietet gerade die europäische Musik der Renaissance und des Frühbarock – und darauf greift das Trio überwiegend zurück – mit ihrer großen melodischen Klarheit, Schönheit und gelegentlich auch Sprödigkeit geradezu einen idealen Ansatzpunkt, sich mit Mitteln der Jazzimprovisation mit ihr auseinanderzusetzen. Jazz’n’Spirit haben das mehr als überzeugend getan.
Nun haben die Brüder Piezunka und Martin Flindt, getreu der Devise, dass man das Eisen schmieden muss, solange es heiß ist, ein zweites Album folgen lassen. Es knüpft nahtlos an das Debüt an, übertrifft es aber noch um einiges, denn Jazz’n’Spirit gehen nun noch freier, vielleicht sogar „befreiter“, mit den Vorlagen um, konfrontieren die Stücke mit akzentuierter Rhythmik von fragilem Latin-Jazz bis hin zu ungefähren indischen Raga-Anklängen, von stringenten Modern-Jazz-Passagen bis zu flüchtigen japanisch anmutenden Ausflügen. Die alte Musik von Orlando di Lasso über Hans Leo Haßler bis zu J. S. Bach und Heinrich Schütz hält das nicht einfach nur aus, sondern verschmilzt in den sorgsamen Arrangements von Dirk Piezunka und Martin Flindt kongenial mit den Jazzexkursen. Zwei „Ausreißer“ gibt es unter den Stücken aus dem 15., 16. und frühen 17. Jahrhundert, zum einen mit „Drowsy Maggie“ ein traditionelles Stück der irischen Folklore, zum anderen das – von Jens Piezunka gesungene – Lied „Es führt über den Main“ von Felicitas Kuckuck, der Hamburger Komponistin des 20. Jahrhunderts.
Obwohl „Secundo“ von Jazz’n’Spirit erst die zweite Veröffentlichung ist, sind die Musiker alles andere als Newcomer. Dirk Piezunka tummelt sich seit Jahren höchst aktiv in der Bremer Jazzszene, vor allen Dingen mit seinem Quartett und leitet seit langem eine regelmäßige Jazzreihe, in der er teilweise spektakuläre Gäste präsentiert. Außerdem hat er einen Lehrauftrag an der Hochschule für Künste in Bremen. Sein Bruder Jens Piezunka dürfte Jazzfans vor allen Dingen durch das Jazzstreichquartett String Thing bekannt sein. Martin Flindt favorisiert seit Jahren kleinere Besetzungen, zu denen sein Trio Flindtstones gehört.
Anspieltipps:
Track 2: Am Morgen (Orlando di Lasso)
Track 3: Herzlich thut mich verlangen (O Haupt voll Blut und Wunden) (Hans Leo Haßler/ J. S. Bach)
Track 12: Psalm 150 (Heinrich Schütz)