Jewish Monkeys - Mania Regressia
Jewish Monkeys - Mania Regressia
Greedy for Best Music (G4BM001) / Indigo / Veröffentlichung: 05.September 2014
Live:
06.09. Darmstadt, Hoffart Theater
07.09. Berlin, Synagoge Rykestrasse (Jüdische Kulturtage)
08.09. Berlin, Interviewtag
09.09. Frankfurt, Das Bett
10.09.
11.09. München, Atomic Café
12.09. Karlsruhe, Tollhaus
Video 'Banana Boat vs. Hava Nagila'
„Die Jewish Monkeys sind eine burleske Klezmer-Rock-Band aus Tel-Aviv. Ihre Geschichte beginnt in den 70er Jahren, als sich Ronni Boiko und Jossi Reich, zwei Sänger im Knabenchor der Frankfurter Synagoge kennenlernen und zu lebenslangen Busenfreunden werden. Gerade mal drei Jahrzehnte später, nachdem die beiden ins jüdische Palästina ausgewandert sind, entsteht zusammen mit Gael Zaidner, dem Dritten im Bunde jenes köstlich respektlose Gesangstrio, welches sich den fragwürdigen Namen Jewish Monkeys gibt und bewaffnet mit politisch inkorrekten Texten und einem ausgeprägten Sinn für Unsinn, Marx-Brothers-mäßigen Tumult verbreitet.“ (eines Tages auf Wikipedia)
Jewish Monkeys – wie bitte? Die Frage schießt unwillkürlich in den Kopf. „Juden dürfen sich selbst so nennen“, antworten die Jewish Monkeys kopfschüttelnd. Den Namen sollte man besser nicht im “Urban Dictionary” nachschlagen, denn dort ist ein Jew Monkey: „A gay Jewish man with a long nose who likes to bring young boys home to his place, then rob them after he kills them.” „Aber sicher, wir sind auch Spezialisten im Brunnenvergiften“, fällt ihnen spontan dazu ein. Der Ton ist also schon im Namen gesetzt. Es geht um Verwirrung, Humor und Spaß, wie man ihn von den Marx-Brothers kennt. Ob dieser Humor nun ein speziell jüdischer sei, lassen wir einmal dahin gestellt, denn ist es letztendlich nicht gleichgültig, aus welcher religiösen oder ethnischen Perspektive agiert wird?
Halten wir uns an die Fakten: Die Jewish Monkeys kommen, wie andere Undergroundbands (Asaf Avidan, The Apples und Boom Pam), aus der am Mittelmeer gelegenen, lebensfrohen und exzentrischen Metropole Tel Aviv. In ihrem Zentrum steht ein aus Ronni Boiko, Jossi Reich & Gael Zaidner gebildetes Gesangstrio. Der als Veterinär arbeitende Ronni Boiko und der Schriftsteller und Unternehmer Jossi Reich, die eben noch in den 70ern im Knabenchor der Frankfurter Synagoge Freundschaft geschlossen hatten, trafen jetzt drei Jahrzehnte später beim Jammen im neuen Heimathafen Tel Aviv auf den Psychologen Gael Zaidner. Von dessen Talent für Gesang und Komik inspiriert, gründeten sie die Band. Ran Bagno, ein international renommierter Arrangeur und Komponist für Ballett-, Theater- und Filmmusik, professionalisierte das anarchische Ideen-Chaos der drei ADHS-gestörten Spätstarter. Als erste Backingband bot sich Boom Pam an, eine Kultband, die wie kaum eine andere für den Schmelztiegel Tel Aviv steht. Ihr einzigartiger ekstatischer Stilmix aus der Musik des Mittelmeeres, des Balkans und Griechenlands, versüßt mit jüdischen Melodien und angereichert mit fettem Surf-Rock und schräger Zirkusmusik, war offen genug, das richtige Bett für die drei schrägen Vokalisten zu bilden. Im Laufe der Produktion tummelten sich immer weitere Musiker in den wechselnden Studios. Am Ende neunjährigen Aufnahmephase haben wir nun neun Lieder und einen Remix vor uns und eine mittlerweile fest zusammengeschweißte Band, die mit Bravour eine erste, umjubelte Tour durch Deutschland und Österreich absolvierte. Beharrlichkeit und Schrägheit zahlen sich also aus.
Die Charaktere der Begleitmusiker sind übrigens nicht weniger schillernd: Neben dem schon genannten Ran Bagno am Akkordeon agieren ein Bauunternehmer, Yoli Baum, am Bass, Henry Vered, ein ziegenbärtiger Drummer und Hardrocker in Erbfolge, der Gitarrist und DJ Haim Vitali Cohen, der als Spross einer religiösen Familie in der israelischen Wüstenmetropole Beer-Sheva aufgewachsen ist und der Posaunist Arnon de Boutton, der nicht so recht weiß, weshalb seinen Vorfahren dieser adelige Name verpasst wurde.
Texte, Töne, Bilder - Political Correctness – Nein danke!
Das Album track-by-track kommentiert von Jossi Reich
Um den Hörer zu verwirren, haben wir in bester Jewish Monkeys Tradition die ersten beiden Tracks auf dem Cover vertauscht. Track Nummer eins ist unsere erste Single: Black But Sweet, ein Song des aus Trinidad stammenden Wilmoth Houdini, der in den 30ern den US-Musikmarkt mit seinen unwiderstehlichen Calypsos aufrollte und mit diesem eigenwilligen Liebeslied eine wunderbar-wehmütige Melodie erschuf. Seit 2012 existiert dazu ein kontrovers diskutiertes Schwarzweiß-Video, in dem das Tel-Aviver Regie-Duo Guy Bolandi und Asaf Mann ästhetisch und liebevoll Sakrilege begeht an althergebrachten jüdischen Religionsriten und Klischees universeller Heiligkeit. Das nächste Stück wurde ebenfalls in Bilder umgesetzt: Caravan Petrol, einer der vielen Hits des italienischen Mega-Stars der 50er Renato Carosone (sein elektronisch aufgepumptes „Tu vuo fa Americano“ war vor ein paar Sommern wiederum ein Hit). Unsere Interpretation erzählt vom Loser, der auf Solarenergie schwört, Ehefrau und Erdöl-Kultur den Rücken zukehrt und in die Wüste flieht, sich dort in die Tochter des Öl-Scheichs verguckt und in dessen Reichtum. Doktor Boikos satirische Bearbeitung übt simple, aber hemmungslose Kritik an unserer heuchlerischen westlichen Kultur, die wider besseres Wissen ihrer althergebrachten Gier treu bleibt. Das, dem Stil Emir Kusturicas nachempfundene Video ist genauso tolldreist und komisch wie unser allererstes Video, ein satirischer Mash-up des durch Harry Belafonte zum Weltruhm gelangten, jamaikanischen Volksliedes Banana Boat mit dem nicht minder berühmten israelischen Volkslied Hava Nagila. Zwei orthodoxe Juden streiten mit einem als Beduine verkleideten Karnevals-Araber um das Heilige Land. Als Inder, Afrikaner, Cowboys und Russen verkleidet lösen sie den Konflikt wieder auf und demonstrieren, wie gut sich alle Völker auf dem Banana Boat miteinander verstehen und lassen dieses irrwitzig-infantile Cover mit dem Satz ausklingen: „Let´s take the Banana Boat to the fucking Midldle East“. Politisch korrekt ausgerichtete Juden und Anti-Juden bringt es gleichermaßen zum Erschaudern, wenn bei dem Eingangsdialog zwischen den zwei Hebräern und dem Araber voll post-zionistischem Klamauk der Satz fällt: „They killed us in Europe, we need real estate“.
Ärger kann es bei solcher Respektlosigkeit schon mal geben. Den bigotten Kulturfunktionären und Juroren des „International Jewish Music Festival“ in Amsterdam. fielen die Kinnladen herunter, als wir Les Pauls 50er-Jahre Schlager „Johnny Is the Boy for Me“ in Doktor Boikos Coverversion hörten. Hier mutiert das Lied zu Johnny is the Goy for Me. Ähnlich wie in einem Woody-Allen-Film ist von einem etwas mickrig geratenen Jew-Boy namens Jossel die Rede. Der bekommt von seiner jüdischen Herzensdame zu hören, dass sie nicht ihn, sondern Johnny, den Goy will, denn dieser sei: „Tall and blond, his eyes are blue, he fucks like hell, doesn´t smell“, Jossel hingegen kommt in ihrer Beschreibung nicht gut weg: „All the day you count and pray, you promise the moon and come to soon“. Zum Ende des Songs erfahren wir von Jossel was der alles tat, um dem Objekt seiner Begierde zu imponieren „I jumped from a tree, I broke my knee...“, um sich dann aber trotzig-glücklich ebenfalls eine nicht-jüdische Geliebte zu angeln, denn „for Sue I am not a lousy Jew, for Sue I am like a Johnny too“.
Rabbi Israel ben Eliezer, der als BaalShemTov bekannt wurde (Deutsch: Eigner des guten Namens) gründete im jiddischen Osteuropa des 18. Jahrhundert den Chassidismus, der sich Formalismus und Strenge widersetzte, nach Heilung, Besinnlichkeit und Mystik strebte und Singen, Feiern, Weintrinken und Tanzen als elementaren Bestandteil religiöser Rituale zelebrierte. In der Folgezeit gründeten eine Vielzahl charismatischer Rabbiner chassidische Bewegungen, die, nach dem jeweiligen Heimatort des Gründers benannt, oft noch bis heute existieren. Die Lubaviczer aus der Ortschaft Lubavicz, einer der ältesten und die größte dieser Bewegungen, bereicherten den ostjüdischen Liederschatz über die mehr als 200 Jahre ihres Bestehens hinweg mit ihren meditativ-ekstatischen „Jababai“-Trinkmelodien. Eine dieser Melodien nahm die Tel Aviver Klezmer-Band OyDivision in ihr Repertoire auf und inspirierte Doktor Boiko zu einer Rock-Ballade, die mit einer rhythmisch-rauchigen, assoziativ-wilden Kette von Nonsense-Begriffen startet „Petrosilia, Che Guevara, Rojte Paprika, Mata Hari, Superwomen, Metaplastik, Mamographia“ und vom Aufschrei „Luba Lubaviczer“ abgerundet wird. Es folgt eine neue, sich diffus-jiddisch-lateinisch-osteuropäisch anhörende Begriffsaneinanderreihung (in diesem Zusammenhang sei darauf verwiesen, dass Boikos Vater aus Rumänien stammt): Alte Kretchmer - Poco poco -Trichomonas -Sensationell – Psychotherapia - Hysterectomy – Apoplexia- Luba Lubaviczer! Von diesen Wortspiel-Stakkato-Rhythmen mündet der Song immer wieder in den vom Chor gesungen Refrain, einer traditionellen Lubaviczer DaiDaiDai-Melodie und gipfelt zweimal in einer von uns kreierten, wehmütig-jiddischen Liebesbekundung an die Phantasie-Schönheit Luba Lubaviczer: „Dayne Oygn hobn sech arayngedrayt in mayne Neshume“ (Deine Augen haben sich in meine Seele „hineingedreht“) und „As Di kishst mech, brennt a Fayer in mir“ (Wenn Du mich küsst, brennt ein Feuer in mir). Dergestalt bewegt sich der Song zum Ende hin dem eigentlichen, ekstatisch-kantoralen Höhepunkt zu, einem Lubaviczer Lied-Fragment, welches uns einen Einblick in die philosophische Weisheit des Chassidismus vermittelt. „Shoyn avek der Nechtn“ – Das Gestern/die Nacht ist schon weg – „Noch nisht du der Morgen“ Das Morgen/der Morgen ist noch nicht da – „S´is noch du a bissale Haynt“ – Es ist noch ein bißchen vom Heute da – „Shter ihn nit mit Sorgen“ Stör ihn nicht mit Sorgen.
Misirilou, der alte griechische Liebessong von der Wüstenprinzessin und deren betörender Schönheit gelangte in den 30ern nach Amerika und wurde von dem jiddischen Gesangsstar Seymour Rechtzeit auch ins Jiddische übertragen. Dick Dale machte aus dieser Melodie in den 60ern jenen Gitarren-Surf, der in den 90ern durch Tarantinos „Pulp-Fiction“ noch einmal so richtig weltberühmt wurde. „Miserlou. Ich well die Prinzessin mehr schojn vergessn nit (Nie mehr vergesse ich meine Prinzessin) – Dayne Oybn hobn mayn Harz farbrennt – Kumm hayl mayn Bengschaft (Heal my passion)“ Wie schon ungezählte Musiker vor uns zelebrieren wir mit dieser stillen, sentimentalen, ausnahmsweise ganz und gar nicht rockistischen, aber sehr jiddischen Version des Seymour Rechtzeit einmal mehr die Rückbesinnung auf die ewige Suche nach der großen Liebe und dem heiligen Orgasmus, die sich durch alle Kulturen zieht.
Man kann es kaum glauben, aber mitten in diesem ach so männlich-jüdischen Gesangsalbum kriegen wir in dem Song: You, you and you eine Frauenstimme zu hören. Die kann sich nicht entscheiden, welchem der drei Jewish Monkeys ihr Herz gehört, denn eigentlich liebt sie einen jeden von ihnen. „You don´t believe me / You misconceive me / What do you think I do? / I am not ambivalent / There´s no equivalent / To either one of you.” Diese Lady ist ganz der konfusen, hochsensiblen, scheußlich verwöhnten New-Yorker Diva nachempfunden, die durch die Romane von Scott Fitzgerald in den „roaring 20ies“ geistert und im nächsten Generations-Zeitsprung nunmehr intellektueller und feministischer, quasi selbstkritisch, neurotisch und an sich selbst leidend dem jungen Woody Allen der 60er und 70er den weiblichen Zerrspiegel vorhält. „Misty psychics / Psychiatrists / And my cleaning woman, too / They do all agree /Unequivocally / That I am crazy about you.” Nicht nur trifft Boiko meisterhaft den Ton des Damals, selbstvergessen seziert er mit seiner Gesangslyrik das, über den steten Zeitenwandel ungebrochene, immerwährende Moment der Zerrissenheit und des weiblichen Selbstzweifels und transportiert es in unsere, ja nur noch hektischere und noch liebessüchtigere SmartPhone-Neuzeit. „In my diary / In my testament / And my shopping list too / This one and only line / I never redefine / Just says you, you and you.” Ran Bagno, der hier eine seiner vielen Kompositionen zur Verfügung stellte, ließ die äthiopisch-israelische Schauspielerin und Sängerin Nezanet Mekonen in diese universellen Gesangsrolle der weiblichen Unentschiedenheit hineinwachsen, eine Eigenschaft die bei einem richtigen Mannsbild unauffindbar ist. Korrekt?
Add it up ist der unserer Meinung nach beste Track der Violent Femmes. Ronni und ich haben sie ebenso wie Ian Dury and the Blockheads vor 30 Jahren in der legendären Frankfurter Batschkapp entdeckt. Dury’s Kracher „Hit me with your rhythm stick - hit me, hit me!“ interpretieren wir übrigens gerne in unseren Konzerten und jiddifizierten es zu „Shlug mech mit deym Steckale, shlug mech, shlug mech!“. Feinschmeckern sei aber klar, dass unsere besten Stücke weniger deren satirische oder reine Cover-Versionen sind, sondern die eigenen Kompositionen, sei das Heat, Meat, Beautiful Feet, in dem sich Doktor Boiko seinen Frust angesichts der allgemein üblichen Wochenend-Vorort-Hinterhof-Barbecues von der Seele schreibt. Oder So Nice, das mit jüdischem Humor mit einer ganzen Menge von Übeln in dieser Welt abrechnet, nur um dann mit traurig lächelndem Refrain jeden Vers so zu kommentieren: „Everything´s so nice, oy, it´s just so nice! Isn´t it paradise, some people eat just rice“.
Jewish Monkeys auf Youtube
Black But Sweet http://youtu.be/9_8GJn9yMO8
Caravan Petrol http://youtu.be/Z6mGtAYG5l8
Banana Boat vs. Hava Nagila http://youtu.be/hTyzO-8islg
The Jewish Monkeys – live band
Ronni Boiko, Jossi Reich & Gael Zaidner: Gesang
Ran Bagno: Akkordeon
Yoli Baum: Bass
Henry Vered: Schlagzeug
Haim Vitali Cohen: Gitarre
Arnon de Boutton: Posaune