Nils Wogram Root 70 with strings
Der 'frisch-gebackene' Gewinner des Albert-Mangelsdorff-Preis 2014
Nils Wogram Root 70 with Strings – Riomar
(nWog/Edel:Kultur/EAN 7640138447259) Veröffentlichung: 4. Oktober 2013
Video: Seeing The New In The Old
Soundclound Link 'Riomar' zum 'Reinhören'
Video Cologne recording sessions / EPK
Radiotaugliche Interviewfiles zu 'riomar' inkl. Fragenkatalog
Eine verführerische Einladung zum Positionswechsel und ein Album wie aus einem Guss.
Live
März 2014:
25.3. Konstanz, Kulturzentrum am Münster, Wolkensteinsaal
26.3. Heidelberg, Karlstorbahnhof
29.3. Essen, Grillo Theater
April 2014:
25.4. Leer, Festsaal des Leeraner Rathauses
26.4. Bremen, Alter Sendesaal
Es gibt nicht allzu viele Formationen im Jazz, schon gar nicht im deutschsprachigen Raum, die über viele Jahre konstant zusammenarbeiten. Root 70 ist eine solche Gruppe. Posaunist Nils Wogram, Saxofonist Hayden Chisholm, Bassist Matt Penman und Drummer Jochen Rückert haben über viele Jahre nicht nur zu einer dynamischen Gruppenidentität gefunden, deren unablässige Kernschmelze man von Album zu Album verfolgen kann, sie setzen über die Summe ihrer individuellen Entwicklungen auch immer wieder neue Schwerpunkte der gemeinsamen Arbeit. Auf „Riomar“ gehen sie nun erstmals über den Quartett-Kontext hinaus und erweitern ihre Struktur um drei Streicher.
Jazzband und Streicher? Das weckt natürlich sofort den Verdacht, die Band könnte mit ihren eigenen Mitteln am Ende sein. Zu oft hat man in der Vergangenheit Jazz- und Popmusiker gesehen, die das Verrinnen eigener Ausdrucksmöglichkeiten früher oder später durch zusätzliche Streicher, Bläser oder Background-Sänger zu kaschieren suchten. Nils Wogram ist von derartigen Anflügen in jeder Hinsicht frei. Im Gegenteil. Gerade wenn man seine jüngeren Aufnahmen vergleicht, tun sich in seinem Gesamtwerk zwei Hauptschienen auf. Dem Komponisten komplexer Klangabstraktionen, der sich an den Möglichkeiten der Neuen Musik orientiert, steht der Jazz-Posaunist gegenüber, der voller Spielfreude den jeweiligen Groove seiner urbanen Umgebung absorbiert. Auf „Riomar“ gelingt es ihm nun, diese beiden Stränge in einem Hauptweg zu vereinen. Die Musik ist gleichermaßen komplex und leicht, abstrakt und intim. Wogram sucht bewusst das Spiel mit Klischees, erinnert an Charlie Parkers Album „Charlie Parker With Strings“, lehnt sich aber auch an die ätherische Strenge eines Anton Webern an.
Im Gegensatz zu Parker wird dem spielerischen Schwung von Root 70 durch die Streicher keine hollywoodeske Note verliehen, sondern gerade die Strings verleihen der Musik zusätzlich Komplexität. Die klassische Rollenverteilung von improvisierenden Jazzmusikern und vom Blatt spielenden Klassikern wird gezielt aufgehoben. Die Streicher werden in den Prozess der Improvisation einbezogen und damit zu Mitgliedern der Band erhoben. „Musiker von der Qualität, wie wir sie bei dieser Aufnahme haben, sind in der Lage, Stimmungen von Anton Webern aufzugreifen und daraus spontan etwas Eigenes zu kreieren.“, freut sich Wogram.
Nils Wogram sucht nicht nach der viel beschworenen Synthese von Jazz und Klassik. Es geht ihm nicht um die Aufwärmung des zu Recht in der Versenkung verschwundenen Third Streams. Ihn interessiert viel mehr die Frage, wie die klassisch geschulten Streicher die rhythmische Dynamik der Jazzgruppe aufgreifen können. „Root ‚70 ist ja keine Band, deren Stärken in der frei improvisierten Musik oder in der Verwandtschaft zur E-Musik liegen“, so Wogram. „Die Stärken der Band liegen eindeutig auf der Jazz-Seite. Tendenziell bringen die Streicher eine neue Farbe ein, aber sie begeben sich ein Stück weiter auf die Jazz-Seite, als das in einem solchen Projekt normal wäre.“
Die Welten von Jazz und Klassik werden also gar nicht von den Lagern der beiden Spieler-Gruppen repräsentiert. Bereits in der Anlage von Wograms Kompositionen spielt sich ganz unmittelbar jener Dialog von Leichtigkeit und Strenge ab, der für die Arbeit des in Zürich und Köln lebenden Posaunisten von jeher charakteristisch war. Die oberflächliche Philosophie des Crossover findet Wogram problematisch. Er sucht und findet stringente Ensemble-Lösungen für sieben Musiker, die ihre unterschiedliche Sozialisation innerhalb des Projektes zwar einbringen, aber letztlich überwinden. Geigerin Gerdur Gunnarsdottir, Bratschist Garreth Lubbe und Cellist Adrian Brendel haben sich schon länger über ganz verschiedene Kanäle dem Jazz angenähert. Um jede Art von Blockbildung zu verhindern, verzichtet Wogram bewusst auf den Einsatz einer bereits eingespielten Streichergruppe und entschied sich für drei Musiker, die sich ebenso individuell in das Projekt einbringen können wie die vier Protagonisten von Root ‚70.
Wogram betritt mit sechs anderen Musikern und dem Hörer einen Bus und begibt sich mit allen gemeinsam auf eine Reise, die erst zu Ende ist, wenn er im letzten Track wieder nach Hause kommt. Er ist und bleibt ein Geschichtenerzähler. „Je älter ich werde, desto weniger will ich auf meinen Alben nur auf musikalische Komponenten wie Dynamik und Kontraste setzen. Ich verspüre immer stärker den Drang, etwas zu erzählen, das darüber hinaus geht. Meinen Programmen und Alben lege ich eine Stimmung zugrunde, die über die ganze Zeit beibehalten wird. Sicher lasse ich auch auf ‚Riomar’ Brüche zu, aber das passiert seltener als auf vorangegangenen Alben. Die neue Platte ist mehr aus einem Guss.“
Gerade vor dem Hintergrund von Root 70 ist diese Einsicht bemerkenswert, denn die Musik für diese Band entstand immer aus der Perspektive des Spielers Nils Wogram, der die Stücke mit seiner Band gemeinsam als Posaunist umsetzen muss und darf. Die Spiellust ist ihm auch auf „Riomar“ geblieben, doch kommt sie ganz anders zum Tragen. Hier offenbart sich kein Musiker, der mit dem Material mal so richtig Gas geben will, sondern Wogram nimmt sich als Spieler ein ganzes Stück zugunsten der Komposition zurück. „Bei Root 70 gab es immer Stücke, die als Vehikel für eine bestimmte Spielhaltung dienten“, gibt Wogram unumwunden zu. „Das passiert auf der Platte mit den Streichern gar nicht. Ich hatte hauptsächlich den Klang der kompletten CD im Ohr. Erst daraus haben sich die Soloparts ergeben. Ich wollte niemals bestimmte Aspekte meines Spiels in den Vordergrund stellen, sondern es ging ausschließlich um den Gesamtsound.“
Auf „Riomar“ finden somit mehrere Reisen gleichzeitig statt, und der Hörer darf entscheiden, auf welche dieser Reisen er sich selbst begeben will. Da wird die Geschichte einer Reise erzählt, die sich über konkrete Landschaftsbilder und mediterrane Stimmungen offenbart. Die beiden Seite von Nils Wograms musikalischer Persönlichkeit machen sich erstmals gemeinsam auf den Weg, und die Band Root 70 setzt ihre Safari ins Land der unbegrenzten kollektiven Ausdrucksmöglichkeiten fort. „Riomar“ ist eine verführerische Einladung zum Positionswechsel. Wer diesem Ruf nicht folgt, verpasst etwas.