Nils Wogram Septet - Complete Soul

NILS WOGRAM SEPTET - Complete Soul

Veröffentlichung: 17. August 2012

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nWog / Ja Kla! / harmonia mundi / nWog CD 004 – EAN: 7640138445255 /

Ohne falsche Scham: Ein gewichtiger Schritt im Schaffen eines der vielseitigsten und produktivsten deutschen Jazzmusiker. Es schließt zugleich an eine Tradition an, die dem europäischen Jazz schon einmal weite Pforten öffnete.
(Anfang der sechziger Jahre nahm Albert Mangelsdorff unter ganz ähnlichen Vorzeichen seinen Klassiker „Now Jazz Ramwong“ auf, auf dem er Jazz, europäische Musik und südostasiatische Einflüsse miteinander vereinbarte.)

Live:

2. November 2012, Berlin Jazzfest : Nabatov-Wogram Duo//// Nils Wogram Septett
3. November 2012, Berlin Jazzfest : Root 70//// Nostalgia Trio

Nils Wogram ist ein Meister der kleinen Formate. Duos, Trios und Quartette sind seine Domäne, doch vor elf Jahren hat er mit der CD „Odd And Awkward“ schon einmal bewiesen, dass er auch im Sextett und Octett einiges zu erzählen hat. Schon damals war der Multi-Reed-Bläser Steffen Schorn mit an Bord. Der ist auch auf Wograms neuer CD „Complete Soul“, diesmal im Septett eingespielt, wieder dabei. Außerdem geben sich Klarinettist Claudio Puntin, Trompeter Matthias Schriefl, die Saxofonisten Frank Speer und Tilman Ehrhorn sowie Drummer John Schröder ein Stelldichein.

 

Wograms Ansatz auf „Complete Soul“ hebt sich deutlich von Bands wie Root 70 oder Nostalgia ab. Normalerweise schreibt er seinen Mitspielern die Parts in die Instrumente, vertont sozusagen deren Stärken. Diesmal hatte er eher einen komplexen Gesamtsound im Kopf, der sich wie eine Orgel aus vielen Hörnern zusammensetzt, und suchte dann die Leute, die diesen Sound mit ihrer Persönlichkeit ausfüllen können. „Je größer die Band ist“, bestätigt Wogram, „desto mehr muss sich jeder einzelne in den Gesamtsound einfügen. Ich suchte für diese Projekt Leute, deren Klangideal meinem ähnelt. Auf diese Weise mischen sich die Bläser so, dass man diese orgelartigen Sounds erreicht. Die Akkorde wirken als Ganzes und ergeben nicht nur sechs Töne, die irgendwie zusammenklingen. Wenn die Musiker aber einen solistischen Spot haben, versuche ich schon, ihre persönlichen Stärken zu betonen.“

Als Klangideal schwebte Nils Wogram der Sound von Miles Davis’ Klassiker „Birth Of The Cool“ vor. Nicht im stilistisch epigonalen Sinn, sondern in der Übertragung eines gemeinschaftlichen, bedeckten Bläserklanges, der von Top-Solisten getragen wird. Im Gegensatz zu seinen Gepflogenheiten hat er für „Complete Soul“ Kompositionen recycelt, die er bereits für andere Projekte geschrieben hatte. Das Material setzt sich aus Stücken zusammen, die für Kompositionsaufträge entstanden waren und nur ein bis zwei Mal live aufgeführt worden sind. Wogram tat es leid um diese Stücke, in die viel Leidenschaft geflossen war, und er fragte sich, welche davon sich für das Septett eignen würden. Doch obwohl die Songs ursprünglich in unterschiedlichen, wenn auch zeitnahen Kontexten entstanden sind, ergeben sie zusammen eine Suite, deren einzelne Bestandteile zueinander gehören wie die Perlen einer Perlenkette. So und nicht anders ist diese Musik vorstellbar. Für Wogram waren zwei Parameter wichtig. Welche Stücke passen an sich zusammen, und was passt zur Band?

Die angedeutete Zurückhaltung der an dieser Produktion Beteiligten ist umso erstaunlicher, als es sich hier um Protagonisten handelt, die das Erscheinungsbild des deutschen Jazz durch ihr Spiel und Auftreten derzeit maßgeblich prägen. Musiker, die man wiedererkennt, die man in jedem Kontext als sie selbst wahrnimmt. Auch diesen Umstand hat „Complete Soul“ mit „Birth Of The Cool“ gemein. Wogram bildet mit diesen Alpha-Figuren des zeitgenössischen Jazz ein perfektes Kammerensemble. „Jede Band hat ja eine gewisse Dynamik. All diese Musiker sind erstklassige Solisten. Aber sie können sich auch zurücknehmen, wenn die Musik es verlangt. Sie wissen intuitiv, dass ich darauf großen Wert lege. Jeder erhält ja an bestimmten Stellen auch sein Feature als Solist, bei dem er dann sein Ding durchziehen kann. Diese Leute haben kein Ego-Problem. Es macht ihnen nichts aus, sich zurückzunehmen. Deshalb können sie das.“

Selbst diese Features sind so musikdienlich, dass sie gar nicht als solistische Beiträge ins Ohr fallen. Entscheidenden Anteil daran hat natürlich Wograms eigene Haltung. Über seine Virtuosität und seinen Abenteuersinn auf der Posaune besteht wohl kein Zweifel. Aber „Complete Soul“ ist keine Posaunen-Platte mit angereicherter Bläserbegleitung. Der Leader tritt hier dermaßen weit in den Hintergrund, dass man gelegentlich vergessen kann, wer überhaupt Posaune spielt. Er ist in erster Linie Komponist und Klangorganisator. Das unterscheidet das Septett von Nostalgia, Root 70 oder dem Duo mit Simon Nabatov. Wogram geht es um den gegenseitigen Respekt unter den Beteiligten. Er sucht nach einer entspannten Selbstverständlichkeit, die den permanenten hierarchischen und merkantilen Wettbewerb, der den Jazz zuweilen so furchtbar überfrachtet, hinter sich lässt. Es geht darum, die Musik als Ganzes wahrzunehmen.

Dieses Bekenntnis zur Ganzheitlichkeit drückt sich auch in dem Titel „Complete Soul“ aus. Wogram erlaubt sich eine lebensnahe emotionale Balance zwischen Pathos und Demut. Musik kann noch so hoch angebunden sein, sie bleibt für Spieler wie Hörer letztlich immer eine persönliche Erfahrung. „Wir kennen uns alle gut“, beschreibt Wogram den gemeinsamen Ausgangspunkt der sieben Musiker, „können unverkrampft miteinander umgehen und finden ein nahezu familiäres Gefüge, aus dem plötzlich eine Einheit entsteht, die größer ist als die Summer der einzelnen Spieler. Es geht ja nicht nur darum, seine Fähigkeiten einzubringen, sondern jeder Musiker soll auch seinen Charakter in die Musik geben. Und jeder Charakter hat eben wiederum viele Facetten.“

Man kann den Titel „Complete Soul“ natürlich auch noch ganz anders verstehen. Einige Songs tragen indische Titel. Wogram führt diese Stücke nicht mit Tablas oder Sitars auf, sondern macht diese Erfahrung aus der Perspektive des Mitteleuropäers. Aber er begibt sich auf eine spirituelle Ebene, die weit über das vordergründig christlich europäisch Geprägte hinaus geht. In der Musik wie im Albumtitel offenbart sich eine komplette Spiritualität, die den Bogen zu einem der großen Meister des deutschen Jazz und Vordenker Nils Wograms spannt. Anfang der sechziger Jahre nahm Albert Mangelsdorff unter ganz ähnlichen Vorzeichen seinen Klassiker „Now Jazz Ramwong“ auf, auf dem er Jazz, europäische Musik und südostasiatische Einflüsse miteinander vereinbarte.

Wir dürfen „Compete Soul“ ohne falsche Scham ein großes Album nennen. Es ist ein gewichtiger Schritt im Schaffen eines der vielseitigsten und produktivsten deutschen Jazzmusiker und schließt zugleich an eine Tradition an, die dem europäischen Jazz schon einmal weite Pforten öffnete. Vor allem aber ist es ein wunderschönes, leichtes und doch tiefgehendes Stück Musik, das gehört und wiedergehört werden will.