Paolo Thorsen-Nagel Projekt And On

Paolo Thorsen-Nagel Projekt — And On

(Material Records MRE 037/ harmonia mundi) Veröffentlichung: 15. März 2013

 

Ein erstes unbeirrtes Statement und eine bewusste Positionsbestimmung. Thorsen-Nagel hat es nicht nötig mit schrillen Tönen auf sich aufmerksam zu machen, sondern ist mit seiner Vision des Jazz genau so nah am Zeitgeist, wie es die Summe seiner vielgestaltigen Musik fordert.

featuring Johannes Enders – saxophones, Matthieu Michel – flugelhorn, Pablo Held – piano, Arne Huber – bass, Daniel Mudrack - drums, Paolo Thorsen-Nagel – guitar, composition

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Videolink

 

Live:

19.03. CH-Basel, Bird’s Eye Jazz Club — feat. Johannes Enders

20.03. CH-Basel, Bird’s Eye Jazz Club — feat. Johannes Enders

09.04. München, Jazz+ Seidlvilla

12.04. Weilheim, Musikschule

And On ist Paolo Thorsen-Nagel's schillerndes Debüt Veröffentlichung auf Wolfgang Muthspiel's Label „Material Records“. Der junge deutsch-amerikanische Gitarrist legt eine melodische und überraschend reife Sammlung an Songs vor — üppig und zugleich reduziert. Thorsen-Nagel's Kompositionen sind gekennzeichnet von einer gewissen stillen Entschlossenheit: nichts wirkt gehetzt, jeder Track steht für sich, doch als Ganzes betrachtet birgt das Album eine auffällig homogene und eigenständige Ausdrucksweise. Es besteht kein Zweifel, dieser Wahlschweizer ist ein neuer Stern am Jazzgitarrenhimmel, der sein Handwerk mit Feingefühl meistert und den richtigen Moment abgewartet hat, um sein Debüt abzugeben. And On ist Thorsen-Nagel's erste offizielle Positionierung in der Jazzszene obwohl er schon seit seiner Kindheit von Musik umgeben ist. Auf dem bayerischen Land aufgewachsen, lernte er zunächst klassische Gitarre und wechselte bald darauf zum Jazz, als er den lokalen Jazzheld und viel beachteten Saxophonisten Johannes Enders live hörte. Er nahm bei ihm und bei weiteren Grössen, wie Peter O'Mara, Karl Ratzer und Martin Scales Unterricht — allesamt spielten sie quasi zum Greifen Nahe, bei ihm zu Hause im Jazzclub seiner Mutter auf. Weilheim, Thorsen-Nagel's Heimatort, ist zudem für seine gefeierte Indie- und Elektro-Szene (The Notwist, Lali Puna, Acid Pauli) bekannt und bescherte ihm schon damals weitreichende Inspiration für seine eigene musikalische Vision, die ihm bevorstehen sollte. Thorsen-Nagel erklärt: „Seit meiner ersten Vorstellung von And On hatte ich den Wunsch Stücke aufzunehmen, die meine verschiedenen Interessen und Ästhetiken widerspiegeln: zeitgenössischer Jazz, Ambient Klänge, Minimal Music und Song Strukturen und diese dann in einen Jazzkontext zu setzen“.

Obwohl die Musik auf And On durchweg das Gefühl subtiler Wechselbeziehungen herstellt — sei es zwischen Stilen, Instrumentierungen oder kompositorischen Strukturen — so zeigt das Album auch eine klare Hingabe zum Jazz und seiner Essenz: der Improvisation. Nachdem er im Landesjugendjazzorchester spielte und mit seinen eigenen Gruppen erfolgreich an „Jugend Jazzt“ Wettbewerben teilnahm zog es Thorsen-Nagel in die Schweiz nach Basel, wo er Jazz Gitarre und Komposition bei Meistern wie Wolfgang Muthspiel, Fred Frith und Gerry Hemingway studierte. Während seines Studiums leitete er weiterhin seine eigenen Projekte, spielte am Jazzfestival Basel, den Langnau Jazz Nights und der ArtBasel und machte auf diese Weise von sich hören — als versierter Instrumentalist und anziehender Live-Künstler. Er zog unter anderem die Aufmerksamkeit des Schweizer Radio's (SRF2 Kultur) und dessen Jazz Produzent Peter Bürli auf sich, der entschied mit Thorsen-Nagel zusammenzuarbeiten und And On co-exekutiv zu produzieren. Das Album selbst wurde im Volkshaus Studio Basel vom renommierten Tonmeister Daniel Dettwiler („Eine Frau“ Jasmin Tabatabai) aufgenommen und weist eine enorme Tiefenstaffelung hervor, die den Tonträger nicht nur zur realistischen Abbildung der gespielten Musik, sondern zudem zu einem wahren akustischen Juwel an sich macht.

Dass Thorsen-Nagel auch unter bereits profilierten Kollegen Beachtung geniesst zeigt seine grossartig besetzte Band, die er für sein Debüt zusammengestellt hat: der ECHO Jazz Preisträger und langjährige Freund Johannes Enders spielt Tenor- und Sopransaxophon; der renommierte Schweizer Matthieu Michel ist am Flugelhorn zu hören; Piano spielt Deutschland's shooting star Pablo Held; Am Bass ist Arne Huber, der längst wesentlicher Bestandteil der süddeutschen Jazzwelt ist; und der Schlagzeuger Daniel Mudrack ist in den unterschiedlichsten Projekten als Taktgeber gefragt. Und dennoch hinterlässt And On beim Hören nie den Eindruck blosser technisch-virtuoser Einzelleistungen.

Auch wenn die Band herausragende Spieler und Individualisten vereinigt, habe ich die Gruppe mit dem Gedanken eines integralen Ensembleklangs zusammengestellt — einem Sound bei dem das Kollektiv wichtiger ist als die einzelnen Solisten.“ Thorsen-Nagel beschreibt weiter: „Ich wollte eine Stimmung schaffen, in der sich die einzelnen Instrumente frei bewegen konnten und sich die Texturen unaufhörlich zu einem einzigartigen Ganzen verweben.“

Gleich zum Auftakt des Albums wird im Titelstück die betörend harmonierende Band in einem frei fliessenden Gestus vorgestellt: die Gitarre beginnt mit einer simplen zweistimmigen Phrase, die gleich darauf mit seidenem Tenor-Ton im unisono wiederholt wird. Nach und nach kommen Bass, Klavier und Flügelhorn dazu und verstärken die zu Beginn etablierte Weite noch um ein weiteres. Und gleichzeitig lenkt die Gruppe allmählich in einen neuen Teil: ein schillerndes Gitarren-Ostinato legt den Teppich für eines der bewegendsten Saxophon-Soli der Platte. Im Gegensatz dazu gibt der zweite Track „In It But Not Quite of It“ —eine Komposition in 5/4— einen schnelleren Puls vor und hebt zugleich Thorsen-Nagel's ausgeprägte Handschrift als lyrischen Komponist hervor. Leuchtend arpeggierte Gitarrenharmonien werden von einem locker rockigen Rhythm-Section Flow und schnell oszillierenden Bläser Gebilden abgelöst. Zusätzlich zur musikalischen Signifikanz nahm der Songtitel im weiteren Entstehungsprozess des Albums eine allumfassendere Bedeutung für die Musik ein. "In it, but not quite of it,“ verrät Thorsen-Nagel „ist ein Zitat vom Pianist Matthew Shipp, das ich ein Mal gelesen hatte. Shipp beschrieb damit Thelonious Monk's weltfremden Genius in dessen Werk; für mich aber sind seine Worte eine genauso passende Beschreibung für die Musik auf dieser CD. Es war mir wichtig auch Einflüsse ausserhalb der Jazzwelt mit einfliessen zu lassen und sie als kompositorische Elemente zu verwenden — also quasi in der Sprache des Jazz zu verweilen, jedoch mit einem etwas anderen Dialekt zu kommunizieren.“

Alle Titel auf And On wurden von Thorsen-Nagel selbst komponiert, einige davon während eines winterlichen Arbeitsstipendiums auf der Insel Elba. Es gibt durchaus Anklänge eines herben und intimen Insel Befindens in einigen der Stücke. Allerdings verwendet Thorsen-Nagel über das gesamte Album hinweg ganz verschiedenfarbige Instrumentierungen, um die jeweiligen Stimmungen musikalisch treffend umzusetzen: von einer kompletten Sextett Besetzung, über Quintette und Quartette, einem Trio mit Gitarre, Bass, Schlagzeug bis hin zu Solo-Gitarre Einleitungen, die Thorsen-Nagel während der Postproduktion einspielte, trägt das Album eine besonders vielschichtige Erzählstruktur. „From the Archives“ zum Beispiel demonstriert Thorsen-Nagel's Drang scheinbar unvereinbare Stile zusammenzuführen. Die Komposition trägt ein inniges Solo-Statement Matthieu Michel's — seine samtigen Flügelhorn Linien entfalten sich frei über einem geerdeten Drum Beat, der Assoziationen an lockere Hip-Hop und R&B Grooves weckt.

Ich war weniger von dem Gedanken getrieben ein idealistisches Album in einem bestimmten Stil oder Genre zu machen, als von der Tatsache, dass ich dem Hörer einen weiten Überblick über meinen eigenen musikalischen Horizont verschaffen wollte; der meine Vergangenheit, aber auch meine momentanen Interessen wiedergibt.“ Wie diese derzeitigen Neigungen Thorsen-Nagel's konkret aussehen wird ansatzweise im letzten Viertel von And On preisgegeben. „Always R” zum Beispiel endet mit einem Schwall an sich überlagernden Loops und leise wummernden Subbässen. Der Schlusstrack „Reprise“ erinnert an das Anfangs-Riff beim Eröffnungsstück — diesmal allerdings getränkt in Delay- und Rückwärts-Effekte. Und der Songtitel “I've Got a Radio in My Head” ist wohl der buchstäblichste Verweis auf Thorsen-Nagel's Rock Vergangenheit, welcher er als aktives Mitglied der experimentellen Noise-Pop Band „Aie Ca Gicle“ nachgeht. Und auch als „Mystics“, seinem Ambient und Minimal orientierten Solo-Projekt. Kürzlich erfolgreiche Performances an der bedeutenden Kunstausstellung documenta(13) in Kassel und an der Kunsthalle Basel lassen nur schwerlich die Grenzen von Thorsen-Nagel's wunderbarem Talent erkennen und wohin in dieses wohl noch führen wird. Und wie ist dann der Titel seines Debüts, And On zu interpretieren? „Für mich ist dieses Album ein erster grosser Schritt auf meinem musikalischen Weg, und gleichzeitig etwas was noch fortgesetzt werden wird. Ein erster Ausruf, dessen Bedeutung sich mit dem Verlauf der Zeit schon bald wandeln wird und hoffentlich trotzdem eine anhaltende Bedeutung weiterträgt.“

And On ist also ein erstes unbeirrtes Statement und eine bewusste Positionsbestimmung in der weiten Welt des Jazz. Thorsen-Nagel hat es dennoch nicht nötig mit schrillen Tönen auf sich aufmerksam zu machen, sondern vertraut viel mehr auf seine unaufdringliche Art als subtil und eklektisch agierender Lenker und Denker. Er ist somit mit seiner Vision des Jazz genau so nah am Zeitgeist, wie es die Summe seiner vielgestaltigen Musik fordert.

 

http://www.paolothorsennagel.com/