Ramón Valle & Orlando 'Maraca' Valle - The Art Of Two

Ramón Valle & Orlando 'Maraca' Valle - The Art Of Two 

In&Out Records  IOR CD 77131-2  Vertrieb: in-akustik   Veröffentlichung: 27. Januar 2017

 

WENN ES GUTE KUNST IST, REICHEN ZWEI

In Zeiten allgemeiner Verwirrung und Disharmonie in der kubanischen Musik – der großen Kunst der Insel -, in denen die „timba“, die kubanische Version der Salsa, eine Gegenoffensive startet, um sich jene Räume der Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zurückzuerobern, die bisher der „reguetón“ (verflucht, verfälscht, aber ungewöhnlich kraftvoll) besetzt hielt, und in denen es einigen kubanischen Musikschaffenden gelungen ist, sich den für sie bis heute unerreichbaren internationalen Markt zu erschließen, besteigen die Cousins Ramón und Orlando „Maraca“ Valle ein kleines und unauffälliges, für die Reise jedoch bestens ausgestattetes Boot, um gegen den Strom zu schwimmen. Oder um der Strömung zu folgen, die schon immer die ihre war.

THE ART OF TWO ist demnach eine ungewöhnliche und zugleich vorhersehbare CD. Ungewöhnlich, weil sie nur das sein will, was sie ist, ohne weitere Ambitionen: gute Musik, hervorragend ausgeführt, ohne Angeberei und ohne Zugeständnisse an die lokalen Gegebenheiten oder den Markt. Vorhersehbar, weil angesichts des bisherigen Schaffens und der Karrieren des Pianisten Ramón Valle und des Flötisten Orlando Valle (Cousins ersten Grades, falls es jemand noch nicht wissen sollte) nichts anderes zu erwarten war als eine musikalische Delikatesse.

Ein Piano und eine Flöte reichen aus, um dieses Juwel hervorzubringen. Allerdings werden die beiden Instrumente von zwei der talentiertesten und quirligsten zeitgenössischen Vertreter der kubanischen Musik gespielt, die über solide musikalische Konzepte und hervorragende interpretative Qualitäten verfügen, mit denen sie diesen Edelstein schleifen und polieren.

Aufgrund ihres Könnens und ihrer Nähe zur klassischen Musik standen beiden während ihrer Ausbildung an der Akademie die besten Instrumente zur Verfügung. Mit diesen konnten sie realisieren, was schon immer ihr größter Wunsch war: Musik zu machen, die, ausgehend von zwei der wichtigsten afroamerikanischen Quellen, dem Jazz und der originär kubanischen Musik, mit größtmöglicher Freiheit die

Grenzen von Genres, Stilen und Formaten überschreitet und dabei ein Grundkonzept beibehält, das sich über die (häufig falschen) Kategorien des „Kultivierten“ und des „Populären“ – der E- und U-Musik - hinwegsetzt: das Prinzip der künstlerischen Qualität ihrer Projekte und Interpretationen.

Darum ist THE ART OF TWO nicht nur ein Dokument, das die künstlerische Reife dieser beiden Meister des Jazz und der kubanischen Musik offenbart, sondern auch ein deutlicher Beleg dafür, wie unter Umgehung jeglicher Klischees und Vereinfachungen und ausgehend von den Fundamenten einer essenziellen und allgemein akzeptierten „cubanía“ bester Jazz entstehen kann, der in einer universellen zeitgenössischen Klangfülle mündet.

Ein zutiefst musikalisches und zugleich außermusikalisches Prinzip wird auf dieser CD deutlich: die Realisierung des guten Geschmacks. Von der Auswahl eigener und fremder Themen bis hin zu den Arrangements und Interpretationen verströmt sie eine Eleganz, die sich mit melancholischen Melodien schmückt, einem wohldosierten Hauch von Althergebrachtem, der einen Kontrapunkt zu ihrem zeitgenössischen Klang bildet und ihr zugleich eine musikalische Kraft verleiht, die auf jedweden Schnörkel der Virtuosität verzichten kann (und will), weil ihr die Strenge und die Solidität der Meisterschaft innewohnt.

Die zehn Stücke der CD gleichen einem sanften, hypnotisierenden Dahinfließen. Vom lyrischen „Johana“ (Ramón Valle), mit dem der Vorhang sich hebt, gelangen wir zu dem ruhigen „Love for Marah“ (Orlando Valle), tauchen mit „El Guanajo Relleno“ (des großen Ignacio Piñero) tief in die cubanía ein und verlieren uns mit „Latin for Two“ im rhythmischen Jazz und mit „Tú mi delirio“ (Cesar Portillo de la Luz) in dem Klang und dem Halbschatten von Havanna, um uns danach von „Guajira con tumbao“, der raffiniert stilisierten Version eines Klassikers der kubanischen Tanzmusik, mitreißen zu lassen und uns schließlich mit den melancholisch-nüchternen Interpretationen von „Puentes“ und „Amigos“ (beides von Ramón Valle), vielleicht den persönlichsten Dokumenten der CD, zu verabschieden.

Während ich zum dritten, vierten Mal die gesamte Reise von THE ART OF TWO ohne Unterbrechung von Anfang bis Ende verfolge, beschleicht mich eine Frage, die ich mir immer wieder stelle: Was sind die unverzichtbaren Voraussetzungen für gute Musik, unabhängig vom Genre? Nun, wenn ich diese CD höre, stelle ich wieder einmal fest, dass es vor allem Musiker braucht, die über großes Talent und, mehr noch, über Sensibilität und einen Sinn für das nötige Maß verfügen. Denn obwohl die Musik häufig ein Spektakel ist, muss sie auch und immer eine Einladung zu künstlerischem Genuss sein, der die Intelligenz und das Herz des Zuhörers erreicht.

Das deutsche Label In+Out Records ist auf Jazz spezialisiert und für die Qualität der Veröffentlichungen bekannt. In+Out Records erlaubt uns jetzt, diesen Leckerbissen zu goutieren, den die Valle-Cousins uns reichen, an Bord ihres kleinen Bootes reichen, das gegen den Strom schwimmt ... oder ihre eigene Strömung formt, durch die Kunstfertigkeit zweier Kubaner, die uns beweisen, dass die Musik unserer Insel größer ist als deren Geographie.

Leonardo Padura, Septiembre de 2016