Shauli Einav Quartet - Beam Me Up

Shauli Einav Quartet – Beam Me Up

Berthold Rec / EAN 4250647300254 / Vertrieb: JA KLA / Helikon Harmonia Mundi  Veröffentlichung: 15. Januar 2016

 

Das Saxofon hat auf Shauli Einav schon immer eine besondere Faszination  ausgeübt. „Das fing schon beim Korpus an, der für mich etwas Maschinenähnliches hatte und den ich als deutlich cooler empfand als den einer Geige. Auch die Bedienung schien nicht allzu kompliziert zu sein“, erinnert sich Einav, der im Alter von 13 Jahren von der Geige zum Saxofon wechselte. Seine Begeisterung für Musik wurde durch seine älteren Geschwister geweckt, die ihn während der Sommerferien oft auf Jazzfestivals mitnahmen. Dann ging er eines Tages in einen Plattenladen in Tel Aviv, wo ihm ein Album des Saxofonisten George Coleman in die Hände fiel. Als er dann wenig später noch die Musik von Charlie Parker entdeckte, gab es für Einav kein Halten mehr.

Musikerziehung hat in Israel eine lange Tradition, die den Grundstein für eine beeindruckende Reihe von Jazzmusikern gelegt hat, die weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind. In dieser jungen, kreativen Musikszene ist Einav fest verankert. „In meiner Internatszeit habe ich regelmäßig Saxofon gespielt, so viel und so oft ich konnte. 1998 besuchte ich dann ein Musik-Camp, in dem ich viele junge, talentierte Musiker kennenlernte.“

Die noch wichtigere Begegnung ergab sich jedoch im Anschluss an das Camp, als  Einav auf  Arnie Lawrence Finkelstein traf – einen in Brooklyn/New York aufgewachsenen Saxofonisten, der im Jahr zu vor nach Israel gekommen war. Als Arnie Lawrence hatte er sich ab Mitte der 1950’er Jahre auf sich aufmerksam gemacht, weil er mit großen Namen wie John Coltrane und Charles Mingus spielte. Einav erkannte schnell, dass Lawrence eine „visonäre Persönlichkeit“ war und führt dazu aus: „Er nutzte die Musik dazu, verfeindete Völker zu versöhnen, indem er jüdische und arabische Musiker zusammenführte. Für mich, aber auch für viele andere junge Musiker, war Arnie das musikalische Bindeglied zwischen New York und Jerusalem Fast alle Musiker aus Israel, die heute erfolgreich sind, entspringen mehr oder weniger Arnies Dunstkreis“.

 

Nachdem Shauli Einav seinen ersten Abschluss in Israel gemacht hatte, setzte er seine Studien – wie so viele seiner Landsleute – in den USA fort. Zunächst verschlug es ihn nach Rochester, eine Stadt im Nordwesten des Bundestaats New York. Natürlich nutzte Einav schon damals jede Gelegenheit, sich Konzerte in New York City anzusehen, dort, wo er später auch hinzog. „In den ersten zwei Jahren meiner Zeit in New York  bin ich jede Nacht auf Jamsessions gegangen. Um Eindrücke zu sammeln, zuzuhören und selbst zu spielen – auch wenn ich vorher nicht geübt hatte. Alleine schon unter diesen großartigen Musikern zu sein und direkten Kontakt mit ihnen zu haben, war für mich von unschätzbarem Wert“.

Auf die Frage, warum sich so viele Musiker aus Israel in der Weltmetropole des Jazz behaupten, antwortet Einav: „Wir Israelis machen alles mit großer Leidenschaft, sind enorm ehrgeizig.  Viele wollen nicht nur besser sein als alle Anderen, sondern in einer eigenen Liga spielen. Ob diese Einstellung auf Dauer gesund ist, bezweifele ich, aber so ist es nun mal.“

Auf seiner neuen CD Beam Me Up beeindruckt das Shauni Einav Quartet  mit technischer Brillanz und einem geradezu feierlichen, satten Sound mit  Paul Lay (Klavier), Florent Nisse (Kontrabass) und Gautier Garrigue (Schlagzeug).  Die vier preisgekrönten, jungen Musiker sprühen vor musikalischer Kreativität und legen ein Werk vor, das vielschichtig, wohlklingend und energiegeladen ist und dabei hörbar swingt.

Um sich inspirieren zu lassen, ist Einav tief in die Welt der klassischen Musik eingetaucht – speziell in die „Visions Fugitive“ („Flüchtige Erscheinungen“), eine Sammlung von 20 kurzen Klavierstücken des russischen Komponisten Sergei Prokofjew. „Ich liebe diese Art von Musik“, bekennt Einav. „Sie ist voll von dissonanten Melodien, disharmonischen Akkorden und unerwarteter Harmonien. Was bei Prokofjew aber sehr verdaulich klingt, weil er sie rhythmisch klug strukturiert und mit großartigen Harmonien versehen hat. Auch bei „Peter und der Wolf“ gibt es solche Melodien, die aber dennoch sehr sanglich klingen  - weil Prokofjew schlicht ein Genie war.“

Wichtigste Bezugsperson für Einav auf Beam Me Up war Asaf Mattijahu -  ein klassischer Komponist mit einer eigenen Improvisationstheater-Gruppe. Zum kreativen Prozess erklärt der Saxofonist aus Israel: „Ich habe so lange mit Prokofjews Motiven herumgespielt, bis mir eine Idee für ein neues Stück kam. Ein interessanter Ansatz, aber nicht ungewöhnlich, weil sich doch die meisten Komponisten bei ihren Kollegen bedienen. Wir wollten es aber nicht wie eine Jazz-Produktion mit klassischer Rollenverteilung aufziehen. Das hätte ja bedeutet: wir haben einen Walking Bass, das Klavier spielt die Akkorde, das Saxofon die Soli und das Schlagzeug gibt den Rhythmus vor. Wir haben versucht, es anders zu orchestrieren. Dabei stand mir Asaf die ganze Zeit zur Seite. Das kann man in dieser neuen Art von Musik deutlich hören.“

In Ten Weeks geht es um das Warten vor der Geburt eines Kindes und die Vorstellung, wie es im Mutterleib heranwächst. „Ein Prozess, der ganz unterschiedlich wahrgenommen werden kann: geheimnisvoll, magisch, bisweilen unheimlich“, erklärt der junge Familienvater. Und wie zur Bestätigung macht in diesem Moment sein Sohn, der vom Baby zum Kleinkind herangewachsen ist, mit Schreien auf sich aufmerksam.

Die Motive in 1415 basieren auf den Miniaturen 14 und 15 von Prokofjew, die das Quartett in eine swingende Jazzkomposition verwandelt hat, während sich Assai auf die 12. Miniatur (Assai Moderato) bezieht. Hier verwendete Einav zunächst die ursprünglichen Akkorde und Harmonien, die er nach und nach deutlich veränderte. „Der Bass spielt sehr hohe Noten“, erklärt Einav, „während sich das Klavier im Hintergrund hält und sich die Melodie genau dazwischen befindet. Aber was vor allem ins Ohr geht, ist dieser ungewöhnlich hohe, schreiende Bass, der wieder und wieder das gleiche Motiv spielt. Die Harmonien sind sehr intensiv, werden aber durch die wiederholten Figuren des Basses hörbar abgemildert. “

Tao Main ist ein Anagramm der vierten „Flüchtigen Erscheinung (Animato)“. „Davon habe ich zwei Takte verwendet. Es ist eine heitere, polyrhythmische Komposition, die in verschiedene, unerwartete Sektionen zerfällt. Wir improvisieren nicht auf den Akkorden, sondern auf dem Rhythmus“, erklärt der Saxofonist und Bandleader. 76 San Gabriel schließlich ist eine Art Klagelied, das Einav einem engen Freund gewidmet hat, der vor einigen Jahren verstorben ist. 

Heute wohnt Einav mit seiner Familie in Paris. Letztendlich, so musste er feststellen, ist Saxofon spielen doch ein wenig komplizierter, als er einst dachte. Doch seine  Liebe zum Instrument ist klar erkennbar. Wer ihm intensiv zuhört, dürfte sein Spiel vor allem mit Schönheit, Virtuosität und Wagemut assoziieren.

http://www.shaulieinav.com