Tini Thomsen's Maxsax - Shift
Tini Thomsen’s MAXSAX – Shift
339 Records / TTNCD-008 / 9789078377320 / Vertrieb: NOVA
Veröffentlichung: 17. Juni 2019
Wir sind 5 Vulkane, die ausbrechen. Das auf Platte zu bringen, könnte gefährlich werden für elektronische Abspielgeräte.
Perspektivwechsel verändern Wahrnehmungen und Wahrheiten. Gerade deshalb zahlt es sich aus, einmal eine andere Wegstrecke als die gewohnte zu nehmen, um an sein Ziel zu kommen. Der neue, frische Blickwinkel verändert durch seine Achsverschiebung die Draufsicht auf das eigene Tun und Denken, erweitert den Horizont, führt zu Erkenntnissen, Einsichten und Optionen, die sich ohne diesen kleinen Ausfallschritt weg von der bequemen Routine niemals offenbart hätten. Abraham Lincolns Diktum, dass, wenn man tut, was man immer getan hat, nur das bekommt, was man immer bekommen hat, hat nicht an Gültigkeit verloren. Im Gegenteil, es ist in den Lebensrealitäten der meisten Menschen heute fast zur Normalität geworden. Vielleicht auch deshalb, weil es Mut und Risikobereitschaft braucht, aus den eingefahrenen Bahnen auszubrechen. Wer sich einmal bequem eingerichtet hat, sucht selten die Veränderung.
Für Tini Thomsen ist ein künstlerisches Leben ohne die Lust auf Neues, ohne die Weitung ihres musikalischen Horizonts nicht vorstellbar. Die Baritonsaxophonistin und Komponistin ist immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, -formen und Betätigungsfeldern. So hat sie Sergej Prokofjews musikalischem Märchen Peter und der Wolf ein jazzmusikalisches Gewand verpasst, Big Band-Arrangements für die Jazz Baltica Allstar-Band geschrieben und für ihr Saxophonquartett Q4 oder das Streichquartett Quartet Quinetique komponiert und arrangiert. Aber ihre wahre Liebe gilt ihrem Quintett MaxSax. Seit diese Band 2014 ihr Debütalbum „MaxSax“ auf den Markt gebracht hat, schwimmt sie auf einer regelrechten Welle des Erfolgs.
Viele fragten sich ob der so bislang nie zuvor gehörten und hochenergetischen Verschränkung von Rock und Jazz verwundert, warum denn bislang niemand auf diese Idee gekommen sei.
‚Meine Lieblingsbands sind halt nicht das Miles Davis Quintet oder die Pat Metheny Group. Ich steh' eher auf die Foo Fighters oder Queens of the Stone Age‘, erzählt Tini Thomsen.
Drei Jahre später folgte „The Long Ride“. Mittlerweile durch Altsaxophonist Nigel Hitchcock zum Quintett aufgestockt und mit den frischen Kräften Tom Trapp an der Gitarre, Mark Haanstra am Bass und Satindra Kalpoe am Schlagzeug besetzt, kam die Musik von MaxSax nicht mehr nur mit der brachial-rüpelhaften Urgewalt des Debüts daher, sondern es hatte sich, wie das Jazz Podium konstatierte, eine subtile, leicht angeraute Funkyness, wie man sie von Defunkt oder den seligen Slickaphonics kennt, still und leise in die Musik geschlichen.
‚Seit Nigel dabei ist, habe ich das Gefühl, dass die Band so richtig rund und homogen klingt. Wir haben mit einem zweiten Saxophon mehr solistische Möglichkeiten, mehr Soundvariabeln in petto. Die Musik klingt vielleicht deshalb jetzt etwas besser ausbalanciert. Die brachialen Elemente der ersten Platte sind zwar noch vorhanden, sind aber wohldosierter in einem weiter gefassten Klangbild verteilt‘, ergänzt Tini Thomsen.
Einladungen an die Ostsee zur Jazz Baltica oder zum North Sea Jazz Festival nach Rotterdam folgten. Der IB.-SH Jazz Award 2015 und der Deutsche Musikautorenpreis in der Sparte Jazz/Crossover 2016 sind nur zwei der renommierte Auszeichnungen, die die Musikerin für ihre Arbeit bislang verliehen bekommen hat.
Nun endlich also Shift, das dritte Album von Tini Thomsen's MaxSax. Und natürlich haben die Saxophonistin und ihre Band – wie kann es bei diesem Albumtitel anders sein, an einigen Stellschrauben gedreht, um dem ohnehin schon sehr individuellen Gruppensound einen etwas veränderten „Spin“ zu geben. Der rabaukenhafte Ikonoklasmus der ersten beiden Alben ist auf Shift einer nuancierteren und wohltemperierteren Ästhetik gewichen, die, ohne der Musik ihre immense Kraft zu nehmen, auf starke Kontraste setzt.
Da wäre zum Beispiel Big Boys: Ein zäh wie Melasse dahinfließender Song, der von einer leisen unbegleiteten ostinaten Saxfigur eingeleitet, urplötzlich in ein tonnenschweres und riffgeschwängertes Rockungetüm abkippt, das Led Zeppelin zur Ehre gereicht hätte. Diesen monolithischen Kracher in einen atmosphärischen, von Flageoletttönen zusammengehaltenen Triolog von Altsax, Baritonsax und Bass aufzulösen, grenzt fast schon an Genialität. Tension and Release in Perfektion!
Happy Segment Day würde eigentlich schwerelos und federleicht dahingleiten, wären da nicht immer wieder die eingestreuten zickig-zappaesken Staustufen, die den Fluß der Nummer heftig ins Straucheln brächten.
Funkinfizierte Kompositionen wie das epische King of Diamonds oder der Titelsong Shift zeigen sich weniger von Detroit, als von Memphis und Muscle Shoals beeinflusst. Auch eine Prise ‚Funkadelic‘ zieht sich schemenhaft durch die Nummern.
Licht und Schatten, Volten und Wendungen, feine dramaturgische Details, die Musik auf Shift steckt so voller Überraschungsmomente und Disparititäten, dass es fast an ein Wunder grenzt, dass sie durchweg von einer stupenden Klarheit und Unmissverständlichkeit geprägt ist.
Zweifellos hätte sich Tini Thomsen bequem zurücklehnen und die erfolgreichen Konzepte der beiden Vorgänger einfach auf Shift übertragen können. Aber die Saxophonistin wäre ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht geworden, hätte sie einfach ihr bewährtes Blatt gespielt und dabei auf kreativen Stillstand gesetzt.
Neu auf diesem Album ist, dass sowohl Tom Trapp als auch Mark Haanstra Kompositionen beigesteuert haben. Die Bandmitglieder wissen, die heavy grooves vom ersten Album mit den jazz harmonischen Elementen vom zweiten Album zu kombinieren und dabei dem Bariton Sax genug Platz zu geben, dass es sich wie gehabt sinnvoll einreiht, ohne die Position des Mittelpunktes einzubüßen. Noch mehr Bandsound mit noch mehr Bari als Backbone.
So ist Shift ein mutiges Album geworden, das nicht nur mit seinen ideenreichen und fantasievollen Kompositionen punktet, sondern auch eine Band mit höchst originärem Gruppensound präsentiert, der abseits jeglicher Konventionen verortet werden muss.