Britta Rex – On Air On Water

Intuitive Kühnheit und von Song zu Song neue Fährten – die Sängerin und Poetin aus Braunschweig verbreitet Gedanken und Stimmungen ihrer Songs wie Aerosole von einem Kopf zum nächsten. Sie sind in der positivsten Bedeutung des Wortes ansteckend.

Britta Rex traut sich was. Es gibt unzählige Wege, Jazz zu definieren. Wenn die Sängerin und Poetin aus Braunschweig Jazz als totale individuelle Freiheit postuliert, steht sie damit sicher nicht allein auf weiten Jazz-Fluren. Die intuitive Kühnheit, mit der sie dieses Postulat aber auslebt, sucht ihresgleichen. Britta Rex weigert sich nicht nur strikt, vorgegebenen Mustern, Regeln oder Erwartungen zu genügen, sie legt auch von Song zu Song neue Fährten aus, um immer nur im jeweiligen Lied anzukommen und im nächsten Track wieder eine völlig neue Spur aufzunehmen. Die Summe aus all diesen unterschiedlichen Stimmungen, Betrachtungen, Statements und Wegen ist Britta Rex.

„Ich mach ein Lied aus Stille, ich mach ein Lied aus Licht“, sinniert sie im Album-Opener „Vor einem Winter“, einem von zwei deutschsprachigen Liedern des Albums. Dass „On Air“ wie ein hochkarätiges „Best Of“ der bisherigen Laufbahn von Britta Rex klingt, ist kein Zufall. Die Songs sind über den langen Zeitraum von zehn Jahren entstanden. In dieser Dekade ist viel passiert. Die singende Dichterin hat all das Erlebte und Erfahrene in Songs festgehalten, und jetzt muss eben ein Teil davon raus. Das Moment der Stille, die Elemente Luft und Wasser, die Kreisläufe der Natur, unsere organischen Bewegungsabläufe bilden den roten Faden, der sich durch die Songs zieht. Jedes Stück beschreibt einen neuen Zustand, doch das vielfältige Funkeln dieser Hybride aus Jazz, Kammermusik, Ambient und Poetry, der unterschiedliche Lichteinfall in die jeweilige Situation entspricht genau der Persönlichkeit der Sängerin, die sich von nichts und niemandem limitieren lassen will. Nicht einmal von sich selbst. Die einzigen Kriterien, die für sie für sich gelten lässt, sind die uneingeschränkte Identifikation mit jedem einzelnen Song, in dem sie sich gerade ausbreitet, und die organische Einheit aller Tracks trotz oder gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit.

Nicht nur die Songs an sich sind höchst unterschiedlich, sondern als Songarchitektin findet Britta Rex für jeden Track ein unverwechselbares Portal, das den Hörer in eine Eingangshalle führt, bevor sich das Lied als geschlossene Einheit konkretisiert. Diese Ouvertüren gehen über das übliche Intro weit hinaus. Sie funktionieren eher wie musikalische Mottos, die dem Thema des Songs voran stehen. Der Hörer kann sich in dieser Eingangshalle sammeln, seinen Ballast abwerfen und sich geläutert dem Kommenden öffnen.

Britta Rex reicht es nicht, ihre Songs zu schreiben und aufzuführen. Die feinfühlig erdachten und gewissenhaft inszenierten Arrangements sind das Bindeglied zwischen Komposition und Interpretation. Durch jedes der neun Lieder ziehen sich vier mehr oder weniger separate Ebenen, die miteinander korrespondieren. Die Basis bildet das instrumentale Jazz-Trio mit Pianist Christoph Münch, Bassist André Neygenfind und Schlagzeuger Edward Filipp, das der Sängerin mal enteilt, sich zuweilen völlig verselbständigt, um die Stimme im nächsten Augenblick wieder zu umhüllen wie ein warmer Wintermantel. Britta Rex genießt dadurch ihrerseits die Freiheit, sich nicht an den instrumentalen Unterbau binden zu müssen, sondern gelegentlich vokal und gedanklich in völlig andere Zeitebenen wechseln zu können. Zwischen diese beiden Sphären von Band und Sängerin zieht sich ein Streichquartett, das sich mal mit der einen, mal mit der anderen Ebene verbündet, um in vielen Parts auch ganz eigene Akzente zu setzen.

Die vierte Ebene, die sich über die drei genannten Schichten wie das Firmament wölbt, ist der philosophische Überbau des Albums. Über mannigfaltige poetische Einfallwinkel gelingt es Britta Rex, in sich selbst hinein zu lauschen und dem Hörer damit zu ermöglichen, in den Liedern seine eigene Mitte zu finden, so er denn will. Diese Songs wirken wie ein Spiegel, der auf jeden Betrachter anders reagiert und jedes Selbst über die Katalysatoren Musik, Text und Stimmung neu reflektiert. Obwohl die Schöpferin der Songs es sich keineswegs leicht gemacht hat, sind diesen Liedern doch eine Mühelosigkeit und Leichtigkeit eigen, die sich ohne jede Vorbedingung offenbaren. Das in seinem konzeptionellen Vorlauf über zehn Lebensjahre entstandene Album trägt ohne Frage autobiografische Züge. Britta Rex gibt viel von sich selbst preis. Doch indem die Sängerin und mit ihren Songs eine Symbiose eingeht, treten ihre eigenen Ambitionen in den Hintergrund, sowie sich das Ohr auf ihre großzügigen Angebote einlässt.

Nichts auf diesem Album passiert grundlos. Das würde der Gründlichkeit und Tiefgründigkeit von Britta Rex’ Charakter widersprechen. So ist auch die jeweilige Wahl der Sprache kein Zufall. Die meisten Texte sind in Englisch gehalten. Die Sängerin ist mit anglophoner Popmusik aufgewachsen und hat schon früh auf Englisch zu schreiben begonnen. Das Englische liegt ihr. Und doch ist Deutsch ihre Muttersprache, hinter der sie sich noch viel weniger verstecken kann als hinter dem Englischen. Die Tiefe und Genauigkeit der deutschen Sprache sei Segen und Fluch zugleich, findet sie. Die beiden deutschsprachigen Lieder auf dem Album legen eine tiefe Verbundenheit mit der Poesie der deutschen Romantik nahe.

„All words will be spoken, all notes will be played“, heißt es in dem Text des Stückes „The Cosmic Scheme“. Das Wort ist Britta Rex genauso wichtig wie der Ton. Erst die innige Umarmung von musikalischer Präzision und poetischem Freigeist entfesselt jene subtile Sinnlichkeit, die uns glauben macht, den Hauch dieser Lieder riechen und auf unserer Haut spüren zu können.

Der Titel „On Air On Water“ entspricht dem Bedürfnis von Britta Rex, diese Lieder endlich in den öffentlichen Raum zu entlassen. Und doch suggeriert der Albumtitel auch noch etwas anderes. Einmal freigelassen verbreiten sich die Gedanken und Stimmungen der Songs wie Aerosole von einem Kopf zum nächsten. Sie sind in der positivsten Bedeutung des Wortes ansteckend, dringen unter die Oberflächen unserer Wahrnehmung und bleiben an uns haften, auf dass wir sie weitertragen.

www.brittarex.de

Britta Rex – Vocals, Komposition

André Neygenfind – Bass

Christoph Münch – Piano

Edward Filipp – Drums

Rebecca Czech – Violine

Katharina Pfänder – Violine

Maria Pache – Viola

Nora Matthies – Violoncello

Cattitude Records  / Katalognr.: EFCR 2021-1 / LC 00020

Vertrieb CD:  bandcamp + brittarex.de
Vertrieb Digital: Recordjet

 Veröffentlichung: 9. April 2021

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