Dejan Terzić Axiom – Silent Dancer
…von der Kraft der Kunst in einer Gesellschaft am Limit
Wenn Musik wieder zum Abenteuer wird … Fünf Jahre ist es her, dass der Berliner Drummer Dejan Terzić mit „Prometheus“ das erste Album seiner hochkarätig besetzten Band Axiom veröffentlichte. Höchste Zeit für einen Nachfolger. Doch als er diesen in Angriff nahm, ahnte niemand, dass beim zweiten Streich alles ganz anders werden würde.
Es liest sich wie eine Wildwest-Geschichte mitten in Europa. Zunächst begann alles ganz normal. Terzić hatte neues Material geschrieben und trommelte seine Magnificant Four aus allen Ecken der Welt zusammen. Pianist Bojan Zulfikarpašić (auf seinen eigenen Einspielungen besser bekannt als Bojan Z.) reiste aus Frankreich an, Saxofonist Chris Speed aus Kalifornien und Bassist Matt Penman aus New York. Man probte das Material, freute sich darüber, dass der alte Bandgeist sich sogar noch verfestigt hatte, und ging auf Tour. Ein paar Konzerte in Deutschland machten den Anfang, von da aus ging es ins bosnische Banja Luka, Terzićs Geburtsstadt. Das war im März 2020. Déjà-vu? Einen Gig später ereilte die Band dann ein Anruf, dass ihre Konzerttermine in Italien abgesagt wären, weil ein bis dato unbekanntes Virus unter dem euphemistischen Namen Corona zugeschlagen hätte. Im italienischen Udine sollte aber das neue Album eingespielt werden. Was tun? Konnte der Bandleader unter den gegebenen Umständen verantworten, seine Bandmitglieder an einen Corona-Hotspot zu führen? Man fasste sich ein Herz, stieg in Budapest in einen völlig leeren Flieger und setzte in ein ebenfalls menschenleeres Venedig über, von wo es nach Udine weiterging.
Im Studio fühlte sich zunächst alles ganz normal an, und doch war es keine normale Session, denn im Angesicht des drohenden Sterbens ringsum spielte die Viererbande buchstäblich um ihr Leben. Eine Intensität, die sich ohne Umwege in die Musik übersetzt. Aufgrund der ausgefallenen Gigs konnte man sich in der Klausur des Studios mehr Zeit lassen als zunächst veranschlagt, doch der Weg zurück aus Italien war abermals abenteuerlich. Einfach so rüber nach Ljubljana ging nicht. Man musste mit einem Bus bis an die slowenische Grenze fahren, zu Fuß rüber ins Nachbarland und dort von einem anderen Bus abgeholt werden. „Wie zu Zeiten des eisernen Vorhangs“, lacht Terzić mit einigem Abstand. Einmal mehr schlägt die Kunst der aktuellen Politik ein Schnippchen.
Müsste man die Einspielungen auf „Silent Dancer“ unter ein Motto stellen, wäre es wohl Spielkultur. Im Fokus aller Beteiligten bleibt immer das Ganze, und doch wird intuitiv jedes Detail, jede noch so winzige Nuance bis zur Vollkommenheit ausformuliert. Die Musiker von Axiom sind einander sehr wesensverwandt. Vier Supervirtuosen mit mehr individuellen Erfahrungen im Tornister, als sich an dieser Stelle aufführen ließen, die ausnahmslos mit jedem My ihrer Selbstwahrnehmung im Dienste der Musik stehen. Der Schlagzeuger spricht in diesem Kontext treffend von einem gemeinsamen existenziellen Drang. Jeder Song erzählt seine eigene Story, dessen Spannkraft ausnahmslos auf einer gesunden Mischung aus Leichtigkeit und Ernsthaftigkeit beruht. Auch wenn die Wohnorte der Musiker Tausende von Kilometern auseinander liegen, ist Axiom kein singuläres Projekt, sondern eine feste Band. Aus dem Ineinandergreifen der Intentionen und Spielhaltungen ergibt sich ein gemeinsames Habitat, innerhalb dessen Grenzenlosigkeit man sich absolute Freiheit gönnen kann. Der Drummer hebt noch eine weitere Gemeinsamkeit hervor, die auf den ersten Blick wie ein Zufall anmutet, auf den zweiten jedoch anhand der vier Persönlichkeiten alles andere als zufällig ist. „Ein verbindendes Element besteht darin, dass wir alle mit Nils Wogram gespielt haben. Er ist im Grunde unser größter gemeinsamer Nenner.“
Womit wir bei einem weiteren wesentlichen Punkt dieser Einspielung wären. Die Besetzung hat für Dejan Terzić etwas sehr Autobiografisches. Bojan Zulfikarpašić kennt er seit frühester Jugend. Sein Onkel war der Musiklehrer des späteren Pianisten, der damals wiederum mit Terzićs Cousin in einer Band spielte. Man mochte einander, verlor sich irgendwann aus den Augen, weil es den Einen nach Frankreich verschlug und der Andere in Deutschland lebte, bis sich die separaten Wege unweigerlich wieder kreuzten und man beschloss, etwas Gemeinsames auf die Beine zu stellen. Der Spirit der gemeinsamen Jugenderfahrung ist immer noch spürbar. Chris Speed hörte Terzić zum ersten Mal, als dieser in den 1990er Jahren kurze Zeit in Nürnberg lebte, wo Terzić seit 1989 zuhause war. Für einige Wochen teilten sie sich sogar eine Wohnung. Nach einem Konzert von Speed mit dessen Alter Ego Jim Black in einem kleinen Nürnberger Club jener Tage erklärte der Saxofonist, er spiele nur mit Freunden. Diese Maxime sollte sich Terzić tief einbrennen und kommt auch auf „Silent Dancer“ (der Albumtitel bezieht sich auf seine Tochter Néa) zum Tragen. Ab 2002 nahmen Terzić und Speed mehrere Platten mit ihrer Band Underground auf. Matt Penman wiederum lernte er kennen, als er zu verschiedenen Gelegenheiten in Nils Wograms Band Root 70 einsprang. Zwischen dem Drummer und dem Bassisten entspann sich eine feste spielerische Beziehung, die das elastische Grundgerüst für Axiom bildet. Die Innigkeit, mit der die vier Musiker hier miteinander verbunden sind, erinnert an eine Rockband, bei der es mehr auf den Gesamtsound ankommt als auf die Einzelleistungen. „In dieser Band gibt es keine Sidemen. Ich mag das Konzept von Sidemen und Leader sowieso nicht besonders. Egal, was jeder von uns in anderen Projekten macht, hat Axiom einen Sound, den sonst keine andere Band hat.“
Dieser Zusammenhalt ist umso wichtiger, als die Stücke auf „Silent Dancer“ extrem unterschiedlich sind. Das Grundkonzept der meisten Stücke beruht auf Ideen, die sich an die Minimal Music im Geiste von Steve Reich bis Brandt Brauer Frick anlehnen, doch die gelebte improvisatorische Ausgestaltung trägt die einzelnen Songs in ganz unterschiedliche Richtungen, Dichtegrade und Aggregatzustände davon. Von Gelassenheit bis Wut, vom fast unhörbar wachsenden Gras bis zur Wucht eines Vulkanausbruchs ist im diversifizierten Minimalismus von Axiom für jedes Gefühl Platz. Aus einer Riesenauswahl von neuem Material suchte Terzić bewusst jene Stücke für die Einspielung aus, die so unterschiedlich wie möglich anmuten, wohl wissend, dass sie von der Band in dieser Konstellation zu einem Ganzen geformt werden.
Womöglich wäre „Silent Dancer“ unter anderen äußeren Umständen ein ganz anderes Album geworden. Aber wer weiß das schon?! So oder so ist die Platte ein eindringliches Statement von der Kraft der Kunst in einer Gesellschaft am Limit, die nicht nur Perspektiven öffnet, sondern sich ungeachtet aller äußeren Hindernisse manifestieren kann, stark und unbeirrbar.
http://www.camjazz.com/ http://dejanterzic.com/en/dejan-terzic.html
CamJazz / CAMJ 7962-2 / 8052405144065 / Vertrieb: PIAS/Harmonia Mundi
Veröffentlichung: 28. Mai 2021