Der Weise Panda – s/t

„Ich stehe auf Bandgefüge“, sagt Maika Küster nachdrücklich, „ein Name wie ‚Maika Küster Quartett‘ kam von Anfang an überhaupt nicht in Frage.“ Als Sängerin, Haupt-Komponistin und -Songtexterin sowie als Produzentin des aktuellen Albums steht sie zwar seit Gründung der Gruppe im Zentrum, versteht sich aber nicht als alleinige Anführerin. Obwohl sie häufig fertige Kompositionen einbringt, werden auch die Arrangements ihrer Stücke meist gemeinsam entwickelt. „Essentiell dabei ist, Räume zu öffnen, um in bester Jazz-Tradition frei miteinander zu spielen“, sagt Küster. Verglichen mit dem Debüt des Weisen Pandas wurden die Improvisationen und spontanen Expressionen auf dem neuen Album zwar zurückgenommen, der Jazzbezug aller Beteiligten bleibt aber über die klug platzierten Soli hinaus klar erkennbar. Insgesamt enthält das neue Werk wesentlich kompaktere Songs, mit einer abgeklärteren Haltung und dem Bewusstsein für einen gereiften, fokussierten Sound. Keineswegs zufällig schlagen manche Details, etwa bestimmte Harmoniewechsel, Taktverschiebungen oder auch der Klang der Stimme, Brücken zum Progressive Rock. Doch dazu später mehr.
Maika Küster betrachtet ein Album mittlerweile als eine musikalische Welt, die sich von den Konzerten ihrer Band unterscheiden darf, genauer gesagt sollte. „Der Weise Panda definiert sich nicht nur über die aktuelle Produktion, der Reiz liegt vielmehr darin, die Platte als Momentaufnahme und als Sprungbrett für Konzerte zu nehmen.“ Live wird die Band also weiterhin mit juvenilem Verve und pointierter Vehemenz manchen zuvor selbst gesteckten Rahmen sprengen. Küster und ihre Bandpartner schätzen auch die magische Kraft des Ungestümen, die sie in den ersten Jahren zur Begeisterung vieler konsequent entfacht haben. Die Jury des Sparda Jazz Award, darunter immerhin Klaus Doldinger, verlieh dem Newcomer-Ensemble bereits 2015 den 1. Preis und lobte neben Zusammenspiel und Bühnenpräsenz das Natürliche und Ungekünstelte des damaligen Quartetts. Nach dem Erscheinen des Panda-Debüts Mam im Rahmen der Jazzthing Next Generation-Serie 2016 erhielt die Band viel Lob. „Wer neugierig genug ist, entdeckt ein Wunderland der schönen Klänge und eine Lyrik die berührt“, befand das Jazzpodium und Jazzthing sekundierte: „Das Quartett […] hat sich auf den Weg gemacht, in der Gattung Vocal-Jazz eigene Wegmarken zu setzen.“ 2018 erspielte sich Der Weise Panda den Prix du Public beim Tremplin Jazz d’Avignon.
„Die neuen Songs sind sehr konzentriert und enthalten wesentlich weniger Ausbruchsmomente. Mit war wichtig, diesmal alles etwas behutsamer zu erzählen“, beschreibt die inzwischen 26 Jahre alte Musikerin ihren Ausgangspunkt. An Dynamik hat die Band dadurch nicht verloren, diese wird aber pointierter eingesetzt. Zu erleben schon gleich im ersten Stück Fragile, das als Schlüsselsong des Albums gelesen werden kann. Es spannt einen weiten Bogen, von melodischem Flüstergesang, verhaltenem Herzschlag-Pochen und sachten Instrumentaltupfern zu sanft einsetzender Piano-Linie, obertonreichen Cello-Motiven,

immer weiter ausholenden Klavierkaskaden und kraftvolleren Beats. Darüber schraubt sich Küsters helle, warm timbrierte Stimme in luftige Höhen, um schließlich auf die Essenz des Songs zurück zu kommen. Das folgende Shared scheint mit Küsters lockend-leichtem Gesang und einer gezupften Cello-Begleitung zunächst Richtung Folk zu gehen, wandelt sich dann aber fließend zu Jazz-Phrasierungen und leicht abstrakten Klavier-Einwürfen über einen bewusst klar gehaltenen, aber jederzeit zum Zupacken und Verdichten bereiten Groove. Puberty Power, ausnahmsweise mit deutschem Text, trägt noch etwas introvertiertere Züge. Während Küster hier klingt, als würde sie sich an einen sehr nahestehenden Menschen wenden, unterstreicht ein feinsinniges Klaviersolo die intime Atmosphäre. Einen Kontrast dazu setzt Green Bird: nach kammermusikalischem Beginn steigert es sich zielstrebig in energische, fast schon rockige Intensität, aufgestachelt von Riffs und Beats. Letztere treiben auch das wuchtige Distant Shores voran, hier nähern sich Küsters teils gesprochene Zeilen, teils Hookline-ähnlicher Gesang, zirkulierende Klavier- und Bassfiguren sowie rollende Drumpatterns auf sehr eigene Art ausgesuchten Stilmitteln aus Elektronik und zeitgenössischem Soul. Die eingängigste Richtung schlägt Black River ein, das Pop-nahe Melodik und instrumentale Jazz-Elemente vereint.
Der gewandelte Sound des aktuellen, bewusst namenlosen Albums reflektiert ebenso künstlerische Überlegungen wie persönliche Erlebnisse Maika Küsters. Ihre Texte lassen erkennen, dass essentielle Themen wie Abschied und Verlust hier eine wichtige Rolle spielen. „Vergänglichkeit ist unabwendbar im Leben“, stellt sie nüchtern fest, „deswegen ist es extrem wichtig, den Blick auch für die zarten und guten Dinge zu schärfen. Die neuen Stücke spiegeln auf ihre Art die Fragilität des Lebens wider, das innerhalb von Sekunden verlöschen kann – und darüber hinaus die Erkenntnis, dass ein solcher Verlust mich nicht einschränken muss.“ Parallel zu diesen Gedanken entwickelte sie die Idee, das Album insgesamt homogener klingen zu lassen. „Jeder Song ist ein Schritt auf einem Weg, so ergibt sich beim Hören von Anfang bis Ende ein schlüssiger Ablauf“, erklärt Küster.
Seit rund zwei Jahren verstärkt die Cellistin Talia Erdal das Quartett. Schon 2016 lernten sich Der Weise Panda und Erdal bei einem Doppelkonzert in Berlin kennen, in der Folge freundeten sich die Israelin und Maika Küster immer enger an, besuchten sich gegenseitig und tausch(t)en musikalische Ideen aus. Eigentlich in der klassischen Musik zuhause und derzeit mit einem Master-Abschluss in London beschäftigt, schreibt Talia Erdal auch eigene Songs, die sie in ihrer eigenen Band selbst singt. „Wir sind in gewisser Weise Seelenverwandte und können gut kommunizieren, selbst wenn wir zu bestimmten Themen sehr unterschiedliche Ansichten haben“, sagt Küster. „Darüber hinaus kennt sich Talia extrem gut in traditioneller Musik ihrer Region aus, die ihr anders als die Klassik ein freieres, spontaneres Spiel erlaubt.“ Changierend zwischen diesen unterschiedlichen Spielhaltungen kreiert Erdal variable Klangfarben, die den Bandsound perfekt ergänzen.
Geboren und aufgewachsen in Dinslaken, zwischen Ruhrgebiet und Niederrhein, fand Maika Küster viel Zeit für Musik und Literatur. Den magischen Realismus von Gabriel García Márquez hat sie im Dschungel Malaysias verschlungen, ebenso ist sie von antiker griechischer Dichtkunst fasziniert. Ihre Mutter, eine bildende Künstlerin, schenkte ihr ein Talent zur ausdrucksstarken Abstraktion ihr Vater „versorgte“ sie mit einer umfangreichen Vinylplattensammlung. Darin entdeckte Maika Küster u.a. den besagten Progressive Rock, von Jefferson Airplane bis zu Child In Time. Mit neun Jahren begann sie, animiert von Ian

Anderson und Jethro Tull, Querflöte zu lernen, spielte in Orchestern, begann sich dort zu langweilen und wechselte zu einer Schul-Jazzband. Von dort war es nicht mehr weit zu Monk, Mingus und Coltrane, später folgte das Jazz-Studium an der Essener Folkwang-Uni. Natürlich spielt Küster auch Klavier, darüber hinaus „zum Mitnehmen“ Gitarre. ihre Inspirationsquellen hat sie in den letzten Jahren noch weiter aufgefächert, von Sidsel Endresen über Devendra Banhart bis zu Folk, vom katalanischen Impressionisten Frederic Mompou (1893-1987) bis zu Michael Wollny und Trio [em] wegen dessen charakteristischer Wechsel von romantischen Einflüssen und totaler Entfesselung.
Mit dem neuen Album setzt Der Weise Panda erneut ein bemerkenswertes Zeichen in die innovative und stilistisch offene deutsche Szene. Die zum Quintett gewachsene Band findet dank Maika Küsters charakteristischer Stimme, ausgefeilt-akustischen Arrangements und versiert-klangvollen Musiker*innen zu einer individuellen Ästhetik. Gekonnt variieren die neuen Songs vertraute und überraschende Momente, bieten Anknüpfungspunkte und Kontraste, loten Ruhe und energiegeladene Dynamik aus. Die Intensität der Musik wird noch verstärkt von nachdenklichen Songtexten, die um tiefgründige, substantielle Themen kreisen. Der Weise Panda zeigt entschlossen Haltung und wird damit seinem Namen mehr denn je gerecht.

JHR 183 / Jazzhaus Records / 4260075861838 / Vertrieb: in-akustik / The Orchard)
Veröffentlichung: 24.01.2020

Live

Der weise Panda Tour  2019/2020

18.12.19 Dresden, Jazzclub Tonne
27.01.20 Freiburg, Kulturbörse
28.01.20 Freiburg, Jazzhaus
26.02.20 Tübingen, Jazzclub
28.02.20 Hameln, Double Time Jazzclub
27.03.20 Schwäbisch Hall, Jazzart Festival
28.03.20 Einbeck, Kultur im Esel

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