Heiner Schmitz – Tales From The Wooden Kingdom
Heiner Schmitz – Tales From The Wooden Kingdom
Klaeng Records 065 / LC 30645 / 016027172521 / Vertrieb: Klaeng Records / www.klaengrecords.de
Feat. Cologne Contemporary Jazz Ochestra / Veronika Morscher, Gesang
VÖ: 22.04.2022
Ein Album zum Innehalten, zum Lauschen und Entdecken und Veronika Morscher, die österreichische Sängerin erreicht uns sensibel changierend mal wie eine Lerche hoch über den Bäumen, dann wieder zieht ihre glasklare Stimme silberne Fäden wie die Kreuzspinne im Altweibersommer. Sehr gelungen!
Wie klingt der Wald? In den Wipfeln rauscht der Wind, Vögel zwitschern in den unterschiedlichsten Zungen, das Unterholz knackt, hin und wieder plätschert ein Bach, huscht ein Reh, zischelt eine Schlange, hämmert ein Specht. Doch wie klingt der Wald, wenn aus seinem Boden keine Bäume, Farne und Pilze sprießen, sondern Saxofone und Trompeten, Klavier, Gitarre und Kontrabass? Der Kölner Komponist und Saxofonist Heiner Schmitz findet auf seinem neuen Album „Tales From The Wooden Kingdom“ faszinierende Antworten auf diese Frage.
Ein Sound, so warm anmutend wie ein bemooster Baumstumpf im Spätsommer. Licht und Schatten, Werden und Vergehen, Morgen und Abend, Regen und Sonnenschein … alles in diesem ewigen Kreislauf findet seinen Klang und folgt dabei der bezwingenden Logik des aus sich selbst heraus Entstehenden. Mit dem Cologne Contemporary Jazz Orchestra und der Sängerin Veronika Morscher gelingen Heiner Schmitz poetische Übersetzungen, ohne sich einer Art von Tondichtung hinzugeben, bei der er für jeden Strauch und jeden Tannenzapfen eine bildhaft adäquate Beschreibung suchen würde. Ihm geht es mehr um die Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit der individuellen Natur-Wahrnehmung des Waldes als um den Wald selbst.
Mit dem CCJO hat Schmitz 2012 bereits das Album „Odyssee“ aufgenommen. Auch damals schlug er einen großen narrativen Bogen vom ersten bis zum letzten Song. Doch während er sich auf „Odyssee“ mit dem Rezitator Christian Brückner an einem allseits bekannten Handlungsfaden abarbeiten konnte, findet er für die Zustandsbeschreibungen auf „Tales From The Wooden Kingdom“ einen ganz neuen semiotischen Klangzeichensatz. Seine unverstellte Naturverbundenheit brachte er in kleinerer Besetzung schon 2016 auf der CD „Organic Underground“ zum Ausdruck. Die Saat, die er damals legte, geht jetzt in einem Königreich der schöpferischen Allgewalt voll auf.
Bei aller Komplexität dieser Musik öffnet Heiner Schmitz die Tore zu seiner sprießenden Klangwelt für die Hörerinnen und Hörer ganz weit, um einen bedingungslosen und genretechnisch barrierefreien Zugang zu gewähren. Der Wald gehört schließlich allen, nicht nur den Jazz Fans. Deshalb will er seine Zuhörer auf der emotionalen Ebene zu erreichen. Jeder einzelne Ton dieser Suite über die Alltagserfahrung des Menschen in seiner Umgebung zeugt davon, dass Schmitz hier voller Hingabe ein persönliches Anliegen in all seinen Schattierungen zu Gehör bringt. Im Wald mit seiner Verletzlichkeit und permanenten Gefährdung sieht er nicht zuletzt eine Metapher für die Gesellschaft. Wir spazieren mit dem CCJO durch einen Korridor aus Laub, Holz und weicher Erde, aber es ist beim Hören eben auch der Urgrund des Waldes in jedem Einzelnen seiner Hörer, eine Ankunft, Zuflucht und Selbstreflexion. Ein exemplarisches Beispiel dafür ist der Song „Beech Tree“, ein innerer Mono-Dialog mit einer alten Buche. In diesem Sinne ist nichts nur das, als was wir es vordergründig wahrnehmen, und alles steht in einem vielfältigen Beziehungs- und Assoziationsgeflecht.
„Music is the healing force of the universe“, postulierte Albert Ayler vor über einem halben Jahrhundert. Das trifft in großen Stücken auch auf die Musik von Heiner Schmitz zu. Aber sie ist noch viel mehr als das. Im konzeptionellen Unterholz ist auch die Mahnung enthalten, was wir haben zu schätzen und bewahren. Die Wege zu dieser Erkenntnis sind auf dieser CD so unterschiedlich wie die Sphären des Waldes selbst. In einem Song wie „Underwood“ stützt sich Schmitz auf eine graphische Partitur, in deren wildem Auf und Ab das Ensemble größtmögliche interpretatorische Freiheiten hat. In „Ant Trail“ lässt er die tausend Stimmen des Orchesters wimmeln wie eine Ameisenstraße. Andere Songs sind abgesehen von den Freiräumen für die Solisten präzise ausgeschrieben. Die Komposition steht immer im Dienste des Klanges, nicht umgekehrt. Schmitz’ Grundbedürfnis, beständig seine künstlerischen Grenzen zu erweitern, geht einher mit dem Bewusstsein, am Ende immer wieder zu sich selbst zurückkehren zu müssen. „Was mir nicht entspricht, muss ich weglassen“, konstatiert er nüchtern.
Eine besondere Funktion nimmt in Schmitz’ orchestraler Imagination des Waldes die Stimme Veronika Morschers ein. Die österreichische Sängerin gibt hier nicht die übliche Big Band-Sängerin, deren Lieder auf den Salven der Bläser und dem Drive der Rhythmusgruppe getragen werden. Sensibel changierend erreicht sie uns mal wie eine Lerche hoch über den Bäumen, dann wieder zieht ihre glasklare Stimme silberne Fäden wie die Kreuzspinne im Altweibersommer, und nicht selten scheint sich ihr Timbre wie ein Pilzmyzel im Untergrund zu vernetzen, das wie das Internet des Waldes für das hörende Auge im Orchesterklang kaum wahrnehmbar alle Informationen zwischen den einzelnen Elementen bündelt. Heiner Schmitz hatte noch nie zuvor mit ihr zusammengearbeitet. In der Erarbeitung der Texte und Durchdringung des Sujets ergab sich aber auf Anhieb eine symbiotische Einheit zwischen dem Komponisten und der Sängerin.
Ein Album zum Innehalten, zum Lauschen und Entdecken. „Tales From The Wooden Kingdom“ beschreibt keinen Forst, keinen Landschaftsgarten und keinen Park, sondern einen wild wachsenden Urwald, der eben nicht nur aus Bäumen besteht, sondern in seiner Arten-, Formen- und Zustandsvielfalt weit über alles hinausgeht, was wir mit bloßen Worten fassen können.
Klaeng Records 065 / LC 30645 / 016027172521 / Vertrieb: Klaeng Records / www.klaengrecords.de
VÖ: 22.04.2022
Live
12.02.2022 HS // CCJO //Veronika Morscher —— Klangbrücke Aachen 20h
03.03.2022 HS // CCJO //Veronika Morscher —— BlueNote Osnabrück, 20h
05.03.2022 HS // CCJO //Veronika Morscher —— Klaus Geske Saal, Erftstadt 20h
06.03.2022 HS // CCJO //Veronika Morscher —— Stadtgarten Köln 18h
11.03.2022 HS // CCJO //Veronika Morscher —— Sendesaal, Bremen 20h