Ingen Navn Trio – Elewha
Ein vielschichtiges und kraftvolles Klanggemälde und eine Bandleaderin, die ein Faible für ungewöhnliche Experimente hat. Ein Klangspektrum von sanft-melodisch bis beunruhigend-experimentell.
Eine musikalische Reise – von der Wasseroberfläche bis tief hinunter auf den Meeresboden. Darum geht es in dem Album ELEWHA vom Ingen Navn Trio. Die Initialzündung kam von Saxofonistin und Bandleaderin Inga Rothammel. Mit Wasser kennt sich die gebürtige Schwerinerin aus, schließlich ist sie damit in unmittelbarer Umgebung aufgewachsen. „Sobald ich meinen Kopf unter Wasser tauchte, hatte ich das Gefühl, in eine andere Welt zu gelangen“, erklärt sie.
Auch Hendrik Eichler erinnert sich an den Hintergrund des Albums. „Inga hat viel mit uns über ihre Verbindung zum Wasser gesprochen. Und je tiefer wir gingen, desto tiefer war die Bedeutung der Stücke“, so ihr Bandkollege und Schlagzeuger. Er hatte die Idee, das Album so zu konzipieren, dass man mit jedem Song ein Stück weiter in die Tiefe des Meeres reist. Auch der italienische Gitarrist Rocco Romano unterstreicht das „starke musikalische und persönliche Band zwischen den Trio-Mitgliedern“, das ein wesentlicher Garant dafür war, dass ein vielschichtiges und kraftvolles Klanggemälde entstehen konnte.
Begünstigst wurde dieses auch durch die unkonventionelle Herangehensweise der Bandleaderin, die ein Faible für ungewöhnliche Experimente hat. „Meine Liebe zum Meer und Wasser war schon immer präsent. Alles fing mit einem Mini-Lautsprecher an, den ich unter einer Petrischale mit Wasser befestigte. Dank der Kamera, mit der wir alles filmten, konnten wir beobachten, wie das Wasser auf die Vibrationen reagierte. Wenn man sich jetzt noch vergegenwärtigt, dass der menschliche Körper zu 70 Prozent aus einem derart sensiblen Element besteht, verrät das doch einiges über unsere Befindlichkeit“, findet Rothammel.
Einige Stücke auf ELEWHA haben keine Namen. Stattdessen melden sie, in welcher Wassertiefe wir uns gerade befinden: von 152 Meter, über 2630 Meter und 5267 Meter bis zu 10916 Meter. „Insgesamt ist es ein zusammenhängendes Werk. Eine Improvisation, die in verschiedene Abschnitte unterteilt ist, die für verschiedene Tiefenregionen des Meeres stehen, in denen sich Temperatur und Lichtintensität stark unterscheiden“, erklärt Rothammel und ergänzt: „Bei einigen Titeln handelt es sich um Lebewesen, die wir in den jeweiligen Zonen finden. Cassiopea zum Beispiel ist eine Mangrovenqualle, die in seichten Küstengewässern vorkommt, Vampyroteuthis ein Vampirtintenfisch, der in der Tiefsee lebt“. Abyss entstand aus einer Improvisation, in der sich die Bandmitglieder das Leben auf dem Meeresboden vorstellten. „Die Aufnahmen haben zwei Tage gedauert und uns großen Spaß bereitet“, so Rothammel über das enorm stimmungsvolle Stück, das ein verstörendes Finale bereithält und das gewaltige Klangspektrum der Kompositionen erahnen lässt: von sanft-melodisch bis beunruhigend-experimentell.
Ein Teil der ungewohnten Klänge wird durch besondere Instrumental-Techniken erzeugt. „Für einige Passagen habe ich etwa einen Drumstick in mein Saxofon geschoben, um spezielle Effekte zu erzielen. Kurn enthält von uns eingesprochene Sequenzen, die wir technisch bearbeitet haben. Dadurch entsteht der Eindruck, als ob sich Meeresbewohner unterhalten. Für das Schlussstück habe ich die singende Säge meines Großvaters aufgenommen und sie in die Komposition gemischt. Edward bezieht sich auf den Vornamen des Titanic-Kapitäns – und „hat demnach auch etwas mit Meeren zu tun“, schmunzelt Gitarrist Romano, auf dessen Idee der Titel basiert.
Und ELEWHA – der ungewöhnliche Albumtitel? Der ergab sich, nachdem sich das Trio sein Album zum ersten Mal angehört hatte. „Er hat keine besondere Bedeutung. Er schoss einfach durch meinen Kopf und schien perfekt zu passen“, erinnert sich Rothammel. Auch der Bandname hat es in sich. „Er ist norwegisch und bedeutet „Kein Name“ – denn ich wollte nicht, dass der Name Erwartungen in bestimmte musikalische Richtungen weckt“, so die Komponistin.
Nach ihrem Abitur studierte Rothammel Musiktherapie in Nijmegen. Eine Zeit, in der sie mit Kindern und jungen Erwachsenen arbeitete, die unter psychischen Erkrankungen litten. „Das war einerseits heftig, andererseits sehr erfüllend, da ich miterleben konnte, welchen Einfluss Musik auf Menschen haben kann. Vor allem Kinder sind großartig, weil sie sich nicht verstellen. Sie sagen dir unverblümt ins Gesicht, was sie denken. Wir Erwachsenen sollten ebenfalls lernen, unseren Instinkten zu folgen – so wie die Kinder“ sagt die Saxofonistin. Sie wünscht sich, dass auch das Publikum so sein darf wie es ist und sich auf den Konzerten nicht hinter einer Maske verstecken muss.
Um Zuhörerinnen und Zuhörer zu gewinnen, geht das Trio bisweilen neue, ungewöhnliche Wege. „Zum Beispiel, indem wir in erweiterter Besetzung zehn Minuten lang vor einzelnen Personen spielen, denen wir dabei direkt in die Augen schauen. Dabei entstehen sehr emotionale Momente, in denen die ein oder andere Freudenträne fließt“, hat Rothammel beobachtet. Ein Konzept, von dem sie auch ihre Spielgefährten überzeugt hat. „Auch wenn die Zuhörer keine Jazzfans sind, können sie sich an der Musik erfreuen“, stellt Gitarrist Romano fest und Schlagzeuger Eichler ergänzt: „Wir treten auch in Clubs oder auf Festivals mit jungem Publikum auf. Dort passen wir uns entsprechend an – und präsentieren auch rockigere oder funkigere Klänge.“ Rothammel hofft zudem auf einen Gig im Stralsunder Ozeaneum – womit das Trio einen thematischen Volltreffer landen würde.
Kürzlich hat die Bandleaderin Peru besucht, um dort landestypische Klänge aufzunehmen und eine neue Kultur kennenzulernen. Man darf also auf weitere spannende und ungewöhnliche Projekte des Ingen Navn Trios gespannt sein!
Berthold Rec / LC 27984 / 4250647323062 / Vertrieb: Cargo
VÖ: 10.3.2023