KAMA Kollektiv – Toivo

„Ich habe mir die Trompete nicht ausgesucht. Sie hat mich ausgesucht!“ Die besten musikalischen Beziehungen beginnen manchmal völlig unverhofft. So wie bei der Finnin Kirsi Harju. Sie ist Sängerin und Bandleaderin des KAMA Kollektivs. Zusammen mit Jonathan Nagel (Kontrabass, Deutschland), Jetse de Jong (Klavier, Niederlande) und Yoad Korach (Schlagzeug, Israel) hat sie das das zweite Album des internationalen Ensembles eingespielt. Der Titel TOIVO ist finnisch und bedeutet „Hoffnung“.

Die hat sie selbst nie verloren. Schon als Schulmädchen wollte sie alle möglichen Instrumente spielen, vor allem Geige. „In der Prüfung war ich jedoch so nervös, dass ich viele Fehler gemacht habe. Danach landete ich in der Bläsersektion und man gab mir eine kleine Trompete. Darauf konnte ich auf Anhieb schöne Melodien spielen“, erinnert sich Harju an diese schicksalhafte Beziehung. „Meine Klassenkameraden meinten zwar, ich sei zu laut, aber ich habe es geliebt. Und da ich auch in verschiedenen Chören gesungen und später gerne Chat Baker gehört habe, dachte ich irgendwann: warum kombiniere ich nicht einfach beides?“

Mit dem Titelstück TOIVO drückt die Band musikalisch eine Stimmung aus, die viele Menschen auf der Welt derzeit durchleben. Sie sehnen sich nach Verbundenheit und Hoffnung. Musikalisch bündeln die Bandmitglieder hier diverse Einflüsse: von melancholischer Atmosphäre und Landschaften aus dem hohen Norden, über Minimalismus, Folk und Indiepop bis zu Jazzklängen à la Mathias Eick.

Die Melodie von Distance Song ging Harju bereits durch den Kopf, bevor sie Finnland verließ, um zum Musikstudium nach Amsterdam zu ziehen. Dort lernte sie auch ihre Bandkollegen kennen. „So wurde daraus ein Stück über Distanz und Heimweh – was hörbar ist durch den Wechsel der Tonart mitten im Stück“, erklärt sie.

 

I Wish You Could See my True Nature beginnt mit dem Brummen eines gestrichenen Kontrabasses, der sich mit Harjus fast atemloser, empfindsamer Stimme vereint. „Inspiriert wurde es von dem Buch ‘Die schönen Dinge siehst du nur, wenn du langsam gehst‘ von Haemin Sunim. Das habe ich während der Pandemie gelesen. Es ist sehr philosophisch, liefert aber keine konkreten Antworten, sondern lässt vieles offen. So wie bei meinem eigenen Ich, das ich letztlich auch nicht wirklich kenne“, schmunzelt die Bandleaderin.

Muiden Käsissä ist finnisch und bedeutet so viel wie „in den Händen eines anderen“ bzw. „jenseits der eigenen Kontrolle“. Die sehr lyrische Anmutung der Musik – wenn sich Harjus Gesang und Trompetenspiel harmonisch mit Klavier, Bass und Schlagzeug vermischt – steht in ihrer Perfektion und Kontrolliertheit in ironischem Kontrast zum Titel.

Once to Scare Me for Life ist eine Komposition aus der Feder des Bassisten Jonathan Nagel. Sie basiert auf einem Gedicht, das Nagel nach einer flüchtigen Begegnung mit einer Unbekannten schrieb „Es war zwar nur ein sehr kurzes Treffen, aber es führte dazu, dass ich über diese spezielle Person und über das Leben im Allgemeinen nachdachte. In dem Stück geht es darum, Risiken einzugehen. Nach dem Motto: lass dich darauf ein – es könnte dein Leben verändern!“

In Maybe geht es um Selbstbilder „und wie wir unsere Körper gestalten und manipulieren, um unsere äußere Erscheinung unseren Traumvorstellungen anzupassen. Der Körper wird als Projektionsfläche und Sexobjekt gezeigt. Das Stück beginnt mit einem funky Rock-Groove, der locker und unschuldig daherkommt. Doch dann wechselt er plötzlich in einen Swing-Rhythmus, mit dem wir augenzwinkernd ein Tanzorchester imitieren.“

In Phlegmatic Escapism gerät das Publikum in einen tranceartigen Zustand. „Durch eine monotone und sich ständig wiederholende Melodie, die über einem hektischen Beat schwebt, wird die Zeitempfindung extrem gedehnt und es entsteht ein Traumzustand“, erklärt Nagel und ergänzt: „So, als wenn man während einer Zugfahrt aus dem Fenster schaut und die Landschaft endlos an sich vorbeifliegen sieht. Dieses Gefühl ändert sich schlagartig mit einem Zwischenteil, der aus einer anderen grotesken Welt stammen könnte. Diese ist gezeichnet von Folk- und Country-Elementen, verzerrten Echo-Effekten und futuristischem Retro-Charme, ehe wir wieder in die Anfangsstimmung zurückkehren. Es geht darum, wie wir versuchen, dem hektischen Alltag und dem Informations-Overkill zu entfliehen.“

 

Inventing Memories ist eine weitere Komposition des Bassisten. Thema ist die Idealisierung und Verklärung der Vergangenheit. „Ich habe überwiegend positive Erinnerungen an Berlin und andere Orte, an denen ich gelebt habe. Auch an meine Kindheit und meine ex-Freundinnen. Dabei weiß ich natürlich, dass es auch genug Probleme und gute Gründe für mich gab, weiterzuziehen. Aber im Rückblick ist es eben häufig so, dass eher die positiven Erlebnisse im Gedächtnis haften bleiben – und sich das Bild der Vergangenheit entsprechend verändert.“

Bandleaderin Harju sieht ihre Band vor allem als Kollektiv. „Uns ist es wichtig, dass wir uns intensiv austauschen und möglichst viel gemeinsam entscheiden. Aber letztlich braucht es jemanden, der im Zweifelsfall sagt, wo es langgeht.“ Die Sängerin liebt die Gedichte ihres Bassisten, weiß aber auch seine vielseitigen Fähigkeiten am Instrument zu schätzen. Zudem ist sie froh, den Pianisten Jetse de Jong in der Band zu haben, dessen Qualitäten auch in diversen anderen Bands zu hören sind. „Er passt sich mühelos jeder Situation an und ist enorm wandlungsfähig“, lobt die Finnin. Auch Schlagzeuger Yoad Korach hat schon in vielen unterschiedlichen Projekten und Formationen gespielt. „Es ist einfach großartig, wie er all diese Erfahrungen nutzt und sie zu einem ganz eigenen, erfrischenden Stil entwickelt“, so Harju.

Mit ihrem zweiten Album TOIVO schließt das KAMA Kollektiv mühelos an den Erstling KOTI an.

Berthold Rec / 4250647321037 / LC 27984 / Vertrieb: Cargo

VÖ: 25.06.2021

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