Luise Volkmann – Rites De Passage

Die Suche als Ritual nach einem neuen und zukünftigen Geist 

Gespenster der Vergangenheit hörbar zu machen, ohne sie in der Gegenwart als Referenzen auszubeuten. Diesem Pop-Schamanismus kommt Luise Volkmann auf „Rites de passage“ nahe.

 

Was ist lebendiger – das Geisterschiff, das einem beim Hören von „Rites de passages“ in den Sinn kommt, oder die Warenwelt, in der wir toten Dingen ein Eigenleben zuschreiben? Und was ist unheimlicher – die herrschenden Verhältnisse oder eine gespenstische Musik, die es in aller Dringlichkeit mit dem realen Spuk aufnimmt?

Luise Volkmanns „Rites de passage“ ist Musik des Widerstands und des Übergangs. Sie setzt dem Leben, in dem wir uns einrichten, einen utopischen Raum entgegen, der erst noch eingerichtet werden muss. Die musikalischen Transformationen sind angelehnt an den Begriff des Rituals. Aber Volkmanns künstlerischer Rituality Check ist außerdem ein politischer Reality Check, der die Frage heraufbeschwört: Wie kann man tatsächlich existierende Mauern überwinden? Mauern in Betonköpfen. Betonmauern an Grenzen. Dabei hält sie sich weder an vorgefasste Genres, noch macht sie vor dem Überqueren der letzten Schwelle des Daseins Halt – der Beschäftigung mit dem Tod.

Luise Volkmann versteht sich als Künstlerin mit einem sozialen Bild von Musik. Dieses Selbstverständnis spricht durch die Stücke von „Rites de passage“ – performativ. Es sind die ersten Songs, die sie ausschließlich unter ihrem Namen veröffentlicht. Dabei ging sie von der Idee aus, kompositorische Experimente gegenüber der Improvisation in den Vordergrund zu stellen. Zugleich steckt persönliche Geschichte in dem kollektivistischen Spirit des Albums, das in zwei leicht unterschiedlichen Varianten auf Vinyl und als CD erscheint. Die Aufnahmen, die mit variierenden Ensembles über die letzten Jahre an verschiedenen Orten entstanden sind, lassen eine deutliche Handschrift erkennen. Sie sind der Soundtrack eines Lebensabschnittes.

Die vorüberhegehende Form der Kompositionen legte Volkmann in die Hände mehrerer Künstler:innen aus dem erweiterten Bereich der elektronischen Musik. Die haben sie nach- und umgearbeitet. Einige mit Club-, andere mit Akademie-erprobter Expertise. Nun können sie als „Reworks“ in uns weiterarbeiten. Das Vorgehen bricht mit Release-Gewohnheiten. Die „Reworks“ erscheinen nicht als nachgelagerte Remixe der Kompositionen. Es haftet ihnen etwas durch und durch Gemeinschaftliches, wenn nicht gar Symbiotisches an. Eine Form, in der sich Hierarchien weitestgehend auflösen.

Die Instrumente scheinen sich in einem Akt geisterhafter Klanganeignung selbst zu spielen. Eindrücke verschwimmen synästhetisch, im Song „Das Meer voller Kinder“ beginnt man das Salz des Ozeans zu riechen, das Rumoren der Wellen zu spüren. Die Aufbruchsstimmung der Erkundung neuer Welten – schon kann man sie nicht mehr vom bitteren Geschmack der Hoffnungen unterscheiden, die dort untergehen, wo das Leben einst begann. Das Meer ist nicht nur Metapher, es ist reale Grenze und Element des Übergangs, mit dem Sterben assoziiert. Unter seiner Oberfläche lauert dazu ein Universum voller mystischer Geheimnisse, deren Flüstern ebenfalls in der Musik zu vernehmen ist.

Luise Volkmann steckt als Komponistin hinter „Rites de passages“ und spielt Altsaxofon auf den meisten Stücken. Grenzen, die sie gemeinsam mit den beteiligten Musiker:innen zu überwinden sucht, ziehen sich als roter Faden auch durch die Songs selbst. Sei es die Grenze zwischen Wunsch und Wirklichkeit – „Things we’d like to hear“ – oder zwischen Objekt und Bezeichnung – „And I name you Teki“. Auf „Knock“ klopft Sänger Michael Rexen wie besessen an die verschlossene Tür. Dahinter könnte das Reich der Toten oder die Welt der Lebenden liegen.

Gespenster der Vergangenheit hörbar zu machen, ohne sie in der Gegenwart als Referenzen auszubeuten – diesem Hauntology genannten Pop-Schamanismus kommt Luise Volkmann auf „Rites de passage“ nahe. Wobei sie Pop, Neue Musik, Kammermusik, Elektronika, Jazz oder Improv am ehesten berührt, indem sie sich deren Einflüsse in einer inspirierenden Mischung aus Neugier und Negation aneignet und in andere Zusammenhänge überführt. In der Suche als Ritual – nach einem neuen und zukünftigen Geist  – entfaltet sich der Zauber von „Rites des passages“.

nWog Records nwog049 (CD)  nwog50 (LP)/LC 77779/0653415179825 (CD) /0653415179832 (LP)/  Vertrieb: Indigo

VÖ: 24.3.2023

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