Malte Vief’s  Kammer – III

Rührend und voller Aufruhr: Wir können die Musik förmlich schmecken, riechen fühlen. Instrumentalmusik, bei der die Virtuosität keine eitle Rolle mehr spielt…

Ein signifikantes Gespinnst aus Kontrapunkt, klassischen Formen und barocken Harmoniefolgen und eine minimalistische Motivik, belebt vom Drive der Rockmusik.

Mit dem Album Kammer III treibt Malte Vief seinen Kammer-Zyklus weiter zur Trilogie. Vorlage sind diesmal die ganz großen Themen, die zwar erfahrbar aber nicht vollends zu begreifen sind. Es geht um die Geburt, das Leben und den Tod, um Vergänglichkeit und die Wegmarken, die uns diese vor Augen führen. Damit direkt verknüpft ist die stetige Frage wo wir herkommen, wo wir hingehen und wo wir hingehören. Vief gibt musikalische Antworten, die uns als Formeln nichts sagen würden.

Malte Vief erschafft auf Kammer III virtuose Instrumentalmusik, bei der die Virtuosität keine eitle Rolle mehr spielt. Es wird noch einmal orchestraler als auf den fünf vorangegangenen Studioalben des Musikers. Wieder entsteht ein signifikantes Gespinnst aus Kontrapunkt, klassischen Formen und barocken Harmoniefolgen. Nicht ohne von poppigen Rückungen konterkariert zu werden. Eingängige Arrangements korrespondieren mit gefälligen Melodien. Eine minimalistische Motivik wird gefeatured vom rhythmischen Drive der Rockmusik.

Den Aufmacher „Geburt“ eröffnet Vief mit großer Geste zunächste alleine, bereitet die Bühne, bevor Geige und Cello dem Lied eine beschwingte Richtung geben und schließlich der Kontrabass immer treibender ein plötzliches, emotionales Ende einleitet. Ein Ende was lange nachwirkt. Die Violine, die auf früheren Veröffentlichungen Viefs eher eine Farbe und Nuance war, tritt auf Kammer III in die erste Reihe. Sie ist das von Florian Mayer und Thomas Fleck meisterlich aufreibend gespielte Vehikel um die Hintergründe des Albums zu transportieren. Rührend und voller Aufruhr.

Seit der Veröffentlichung des zweiten Teils der Kammer-Reihe ist gerade erst ein Jahr vergangen. Das letzte Album ist noch nicht verklungen oder auserzählt, da legen Malte Vief und seine Begleitmusiker nach. Matthias Hübner (Cello) ist wieder Teil des Ensembles, ebenso Jochen Roß (Mandoline) und Clemens Christian Poetzsch (Klavier). Martin Siebach (Kontrabass) schafft sowohl für den Pianisten als auch für den Cellisten, die auf dem Vorgängeralbum noch teilweise in der Bassfunktion verhaftet waren, ganz neue Freiheiten. Tatsächlich wirken viele Arrangements dadurch noch natürlicher und freier und verleihen Malte Viefs typisch unorthodoxer Klangkraft, noch mehr Lebendigkeit. Exemplarisch sei hier der Titel „Reset“ genannt, der als wahres Kraftwerk von den tiefsten Registern des Kontrabasses bis in die luftigen, klaren Höhen der Violine, nur so sprüht und leuchtet vor Energie.

Mit „Kreis“, dem zweiten Stück des Albums, setzt Malte Vief auch schon den zweiten Schlüsselmoment. Wir erleben so etwas wie den Refrain des Albums, der die vielen Facetten von Kammer III eindrucksvoll bündelt. Dicht, tief, bewegt und tief bewegend gehen Violine, Cello, Gitarre und Klavier in Vorleistung und strotzen nur so vor Strahlkraft.

Mit der – seiner jüngsten Tochter gewidmeten – liedhaften Komposition „Alea“ feiert Malte Vief das Leben. Verspielt, perkussiv, wechselhaft und doch voller Urvertrauen erklingen Cello und Baritone-Gitarre.

Wie von Malte Vief gewohnt ist der Hörer auch auf Kammer III nah dran am Klangkörper. Umgeben von unzähligen, unberechenbaren Nuancen, inmitten kristallklarer Brillanz. Vief lässt uns ohne Sicherheitsabstand teilhaben und verweist diejenigen, die es klassisch, distanziert mögen, auf seine zahlreichen Live-Konzerte. Etwa ein Drittel des Jahres verbringt Malte Vief – mal mit und mal ohne Mitmusiker – auf Tour.

Beim Blick auf die Titelliste fallen die zentral positionierten und hintereinander gelisteten Kinderlieder I bis IV auf. „Den vier Kinderliedern liegen musikalische Ideen aus meiner Kindheit und Jugend zugrunde, die ich schon lange nicht mehr ernst genommen, aber auch nie vergessen hatte. Da habe ich wieder angeknüpft.“ Teils jugendlich ungestüm (Kinderlied I und III) oder auffallend reif und getragen (Kinderlied II und IV) fügen sie sich nahtlos in das Album ein.

Die titelgebende „Kammer“ ist für Vief ein Symbol für die Begegnung verschiedener Menschen in einem geschlossenen Raum, im wirklichen wie im übertragenen Sinne. Man ist zugleich geschützt und gefangen. Die Kammer gibt Geborgenheit und Nähe – fordert heraus, sich zu schützen und abzugrenzen. Auf Kammer III ist der Protagonist auch mal gefangen in jenem Raum oder verlassen worden. Die Einsamkeit wirkt hier heilsam und weckt unmittelbar das Bedürfnis nach Zwei- oder Mehrsamkeit.

Wie viel Schönheit in Melancholie stecken kann; die Kompositionen „Abschied“, „Tod“ und „Eterna“ sind ohne Zweifel emotionale Höhepunkte des Albums. Völlig unverstellt und ohne dem Hörer irgendeine Intention aufnötigen zu wollen. Alles was man dazu sagen kann und/oder muss, steckt jeweils schon im Namen der Stücke. Malte Vief hat auf Kammer III auch sehr persönliche Schicksalsschläge verarbeitet. Einschläge in seinem heiligsten Rückzugsort; der Familie. Den Trost, den er dabei suchte und fand, teilt er unter dem gleichnamigem Titel auch musikalisch mit uns. Eindrucksvoll entwickelt sich das Stück von einer fragilen, einsamen Mandoline hin zu einem eng verzahnten, tragenden Trio mit Gitarre und Cello, was fortan gemeinsam durch wunderschön, melancholische Wendungen driftet. Was in „Trost“ das Trio musikalisch zu leisten vermag; im Leben waren Malte Viefs Familie und sein Zuhause die tragenden Säulen.

Der Wahl-Leipziger Vief hat sich im Jahre 2010 in die Keimzelle der friedlichen Revolution begeben. Dort wo Klassik, Jazz und alle denkbaren Strömungen von Popularmusik gleichermaßen zu Hause sind und koexistieren.

So finden auch die vielen Aspekte, die Malte Viefs Schaffen bestimmen, auf Kammer III versöhnlich zusammen. Der jugendliche Größenwahn orchestral- cineastischer Klangwände seines Albums „Antigo“, die filigrane facettenreiche Kammermusik von Kammer I, die melodischen Ausschweifungen und inszenierten Kontraste von Kammer II und auch das gitarristisch solistische Schaffen auf zum Teil kuriosen Instrumenten wie der Aliquot-Gitarre. Kurios-emotionale Ohrwürmer lassen selbst beim analytischen Hören den Verstand entgleisen. Komplexe Abläufe und Melodien, die eine Diesellok tragen könnten, erscheinen dem Hörer in liedartiger Schlichtheit. Bei Malte Vief gewinnt dabei am Ende immer die Emotion.

„Ich habe als Komponist die Möglichkeit, eine perfekte Musik zu schreiben. Das verstehe ich nicht wertend oder vergleichend sondern persönlich. Jedes gehörte Stück Musik, das mich berührt oder mir schlicht gefällt, beeinflußt und inspiriert mich, wird zum Nährboden meines Schaffens. Daraus kreiere ich ein persönliches Mosaik, meine Musik – so, wie sie mir gefällt.“ Viefs musikalisches Wirken bedingt einen stetigen Wechsel zwischen verschiedenen Rollen. Denn so nahbar und menschlich die Intentionen von Viefs Kompositionen sind, so ehrfürchtig steht man vor deren Umsetzung. „Als Musiker muss ich für meine Person eine Rolle kreieren, mit der ich mein Schaffen darstellen und vermitteln kann. Ich muss für mich als Künstler die Entscheidung darüber treffen, wie nah oder entfernt diese Rolle von meinem wirklichen Sein ist.“

Malte Vief | Supermusic / LC 00863 / 4039967307231 / Vertrieb: Recordjet / Bandcamp

VÖ: 17.2. 2023

Live

27.01.2023, Schweinfurt, Disharmonie, solo

29.01.2023, 18 Uhr, Mülheim, Kloster Saarn, solo

22.02.2023, 17Uhr, Kiel, St Nikolai, solo

26.02.2023, Oldenburg, Dreifaltigkeitskirche, solo

10.03.2023, 20 Uhr, Witzenhausen, Ringelnatz, solo

11.03.2023, Giessen, Vitos Kapelle, solo

05.05.2023, 20Uhr, Bad Neustadt, VHS, Malte Viefs Kammer mit Matthias

Hübner und Thomas Fleck

28.05.2023, Zeven, Malte Viefs Kammer mit Matthias Hübner und Florian Mayer

Fotos I Cover