Markus Becker – Freistil

Nachdem sich Markus Becker in der Welt der Klassik bereits einen exzellenten Ruf erspielt hat, präsentiert er auf Freistil nun 19 Jazzkompositionen, die eine gleichermaßen hypnotisierende wie überraschende Wirkung haben. Aufgenommen wurden sie im Sendesaal Bremen, der dank seiner grandiosen Akustik Weltruhm genießt. „Ich bin mit einigen musikalischen Ideen in diese Aufnahmen gegangen, die ich dann aber zugunsten etwas völlig Neuem verworfen habe. Die einzigartige, intime Atmosphäre des Saales inspirierte mich zum Improvisieren – und die Ideen flogen mir förmlich zu“, erklärt der Pianist. Auf diese Weise entstand eine Sammlung höchst unterschiedlicher, feingeschliffener musikalischer Diamanten.

Becker, der seit 1993 als Professor an der Musikhochschule für Musik und Theater in Hannover lehrt, sieht deutliche Parallelen zwischen klassischer Musik und Jazz. „Ob Beethoven, Bach, Haydn oder Mozart – alle waren großartige Improvisatoren vor Publikum. Sie sahen das als wichtigen Bestandteil ihrer Konzerte. Beethovens Sonaten sind durch Improvisationen entstanden, die er anschließend in musikalische Formen gegossen hat. Diese Art des Komponierens war bis vor etwa 100 Jahren üblich, später verlor sie an Bedeutung. Deshalb gilt klassische Musik bisweilen als veraltet bzw. als museales Kulturgut“, so Becker.

Insofern sieht der Pianist sein Album als Rückkehr zu dieser alten Kompositionsmethode. Mit dem Klavierspielen begann er im zarten Alter von drei Jahren. „Da meine Eltern Musiklehrer waren, stand bei uns ein Klavier im Haus“, erinnert sich Becker. „Notenlesen bereitete mir jedoch keinen Spaß, deshalb spielte ich einfach das nach, was ich hörte. Das Klavier war dafür ein ideales Instrument, da es viele Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Vorausgesetzt, man setzt beim Spielen seine Fantasie ein.“

Die einzelnen Titel der Kompositionen ergaben sich erst später, wie Becker an einigen Beispielen illustriert.

Pilotfisch erinnert mich an einen kleinen Fisch, der einem größeren folgt und an ihm knabbert. Mit der linken Hand spiele ich einen brummenden Bass, mit der rechten eine deutlich höhere Stimme. Als wenn ein riesiger Wal einen kleinen Fisch anspricht und dieser antwortet – yes yes yes yes…“

Elchtest  ist ein augenzwinkerndes Stück, das sich auf den sogenannten Elchtest von Mercedes Benz in Schweden bezieht, bei dem das A-Klasse-Modell Hindernissen ausweichen musste. Hier spielt die linke Hand ein Ostinato – ein sich ständig wiederholendes Motiv – während die rechte Hand improvisiert.“

Prozession weckt Assoziationen zu den Prozessionen im Dixieland-Stil, die auf Trauerzügen in New Orleans gespielt werden.“

Kinderszene lässt mich an die Musik von Robert Schumann denken. Ich hatte ein Kind vor Augen, dass auf seine eigene, naive Art Klavier spielt.“

Barcarole ist Musik, die an Bord von Schiffen gespielt wird. Es gibt eine berühmte Barcarole von Chopin, mit der ich jedoch nicht konkurrieren wollte. In meiner Version klingt die linke Hand, als ob sie rudern würde: sanft und gleichmäßig, in der Art eines Seufzers, während die rechte Hand auf Exkursion geht.“

„Der Albumtitel und das Titelstück Freistil beziehen sich zum einen auf die gleichnamige Schwimmdisziplin, bei der man seinen Stil frei wählen darf, zum anderen lässt er verschiedene Assoziationen zwischen Freiheit und eigenem Stil zu.“

Stilistisch bildet Beckers Album einen deutlichen Kontrast zu seinen vorherigen, preisgekrönten Aufnahmen. Er verehrt den Komponisten Max Reger, dessen gesamte Klavierwerke er neu eingespielt und interpretiert hat. Diese von der Kritik hochgelobte Sammlung gilt mittlerweile als legendär. „Bei Regers Kompositionen, die sehr vielschichtig sind, besteht eine gewisse Gefahr, sie zu überladen. Deshalb habe ich versucht, Strukturen freizulegen, die die eigentliche Simplizität der Stücke unterstreichen. Das ist die Verbindung zu meinem neuen Album Freistil“, erörtert Becker, der zudem vom Pianisten und musikalischen Denker Alfred Brendel beeinflusst wurde. „Ein Mann, der großartig über anspruchsvolle Musik sprechen kann. Ich hatte das Glück, ihn zu treffen, als ich ein junger Mann war. Damals habe ich ihm mein erstes Album überreicht. Ich war völlig überrascht, als er mich eines Tages anrief und fragte, ob wir nicht einmal zusammenarbeiten wollten. Wir wurden schnell Freunde, weil uns etwas verbindet. Wir sehen Musik in ihrer Ambivalenz, mit einer heiteren und gleichzeitig ernsten Seite.“

Becker genießt es, in seinen Aufnahmen und Konzerten die Welt der Klassik und des Jazz zu verbinden. „In Kiew/Chicago habe ich Mussorgskys Bilder einer Ausstellung und Jazz-Standards gespielt. Und mit der Jazzabteilung meiner Hochschule in Hannover entwickele ich ein Projekt, das die Sonaten von Béla Bartók mit Jazz-Improvisationen kombiniert.“

Becker hat schon mit vielen namhaften Orchestern und Ensembles zusammengearbeitet, unter ihnen die Berliner Philharmoniker, die Bigbands von NDR und WDR, das SWR Radio Sinfonie Orchester und das BBC Welsh Orchester. Auch die Namen großer Dirigenten finden sich auf seiner Kooperationsliste, darunter Claudio Abbado, Howard Griffiths und Michael Sanderling. Mit seinen Aufnahmen hat er drei Mal den „ECHO KLASSIK“ gewonnen, sowie den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.

Berthold records / 4250647319140 / Vertrieb: Cargo
Veröffentlichung: 11.10.2019

Live

26.10.2019 Hannover, SprengelMuseum
27.10.2019 Karlsruhe, Hemingway Lounge
28.10.2019 Pforzheim, domicile

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