Nils Wogram Nostalgia – The Walk
Nils Wogram Nostalgia läßt los: The Walk. Arno Krijger und Dejan Terzić legen Nils Wograms Ideen auf ihre Weise mutig aus und der Posaunist lässt sie gewähren. Der selbstbewusste Aufbruch in die Welt weicht einem hypersensitiven Walk ins Ungewisse und einer Entdeckungsreise ins individuelle und kollektive Innenleben.
Nomen est Omen. Das neue Album von Nils Wograms Album trägt den Titel ‚The Walk‘. Und genau so beginnt die Musik. Posaunist Nils Wogram, Organist Arno Krijger und Drummer Dejan Terzić marschieren gemeinsam los. Sie werden zu Reiseleitern, denn mit ihrem packenden Groove nehmen sie ihre Hörer einfach mit. Kein Subtext, kein doppelter Boden. Los geht’s. Doch schon beim zweiten Titel ‚Love‘ zeigt sich, dass diese Wanderung nicht so gradlinig und zielfokussiert verlaufen wird, wie der Opener suggeriert haben mag. Jeder dieser Tracks beschreibt eine Station auf dem Weg, die einerseits von allen anderen Stationen unabhängig ist und doch auf der Gesamtstrecke einen Sinn im großen Ganzen ergibt.
Mit anderen Worten, „The Walk“ ist ein in der Wahl seiner Mittel sehr stringentes Album, hinsichtlich der Vielfalt seiner Ausdrucksmöglichkeiten aber. Wogram, Krijger und Terzić arbeiten mit subtilen Stimmungsveränderungen. Letztlich ist es eine Reise von außen nach innen. Der selbstbewusste Aufbruch in die Welt weicht einem hypersensitiven Walk ins Ungewisse und einer Entdeckungsreise ins individuelle und kollektive Innenleben. Es geht also nicht um den Spaziergang als solchen, sondern um das, was auf diesem Weg mit dem Menschen passiert. „The Walk“ dokumentiert einen Prozess des Loslassens und Verinnerlichens. Die Physis der äußeren Welt vereint sich mit der Spiritualität der inneren Projektion.
Diesen Prozess begleitend, vollzieht sich im Lauf des Albums eine Art Paradigmenwechsel. Am Anfang steht die Posaune noch sehr im Vordergrund und wird von der Orgel umtanzt, doch auf den weiteren Wegabschnitten rückt der psychedelische Grundton von Arno Krijgers Orgel mehr und mehr ins Zentrum. Der passionierte Klangpsychologe Arno Krijger kommt nicht vom Piano, sondern ist exklusiv mit den flächigen und räumlichen Möglichkeiten der Orgel verbunden. Für Wogram ist diese Richtungsentscheidung zugunsten der Orgel ein zentrales Moment seiner Motivation. „Ein Grund, aus dem ich dieses Trio gründete, bestand gerade in den Möglichkeiten, wie sich die Posaune in den Orgelklang einbetten kann. Beide Instrumente fließen ineinander und unterstützen sich gegenseitig.“
Dabei wollen wir nicht Dejan Terzić aus dem Auge verlieren. Wenn sich Wogram und Krijger gemeinsam auf den Weg machen und mit ihren Instrumenten die Richtung und das Ziel verhandeln, dann ist der Drummer der Weg. Ohne diesen Moderator zwischen Posaune und Orgel wäre dieser Walk in der vorliegenden Form gar nicht möglich. Terzić führt seine beiden Gespielen unaufdringlich zusammen, nimmt Biegungen und Weggabelungen vorweg, grundiert den Boden, öffnet Räume und Perspektiven und definiert last not least das Schrittmaß.
Der Bandname Nostalgia legt ja auch die Assoziation zum gleichnamigen Film des russischen Regisseurs Andrej Tarkowski nahe. Es war der vorletzte Streifen des großen Symbolisten und einer seiner besten. Mehr als irgendein vorheriges Album des Trios erinnert „The Walk“ an den inneren Monolog von Tarkowskis großem Bildepos. Nils Wogram macht keinen Hehl daraus, dass Tarkowski ihn beeinflusst hat. „Abgesehen davon, dass ich viele seiner Filme mag, habe ich mich auch mit seiner Arbeits- und Sichtweise beschäftigt. Tarkowski wurde mal gefragt, was er jüngeren Filmemachern empfehlen würde. Er antwortete, mach etwas, das mit dir, deinem Leben, deinem Alltag und deiner Persönlichkeit zu tun hat. Das hat mich sehr geprägt. Wenn Parallelen zwischen meiner Musik und Tarkowskis Film gezogen werden, ist das für mich ein Zeichen, dass ich mich diesem Postulat ein wenig annähere. Es geht mir immer mehr um diesen persönlichen Sound. Ich will mich nicht mehr auf die Suche nach Konzepten begeben, auch wenn diese sich manchmal anbieten, sondern ausdrücken, was ich selbst zu sagen habe. Es war kein Plan, mich auf diesen Film zu beziehen, aber es steckt eine gewisse Logik darin.“
Nun hat Nils Wogram ja viele Projekte, aber eben nur seine eine Stimme. Er will sich nicht mehr verstellen, sondern sich gemäß Tarkowski in der pursten Version seiner selbst ausdrücken. Insofern ist es kein Wunder, dass es bei aller unterschiedlicher Herangehensweise an einzelne Bands wie Root 70, das Vertigo Trombone Quartet oder Nostalgia immer auch Korrelationen unter den einzelnen Alben in einem gewissen Zeitraum gibt. In gewisser Weise ist „The Walk“ der Zwillingsbruder der letzten Root 70-Veröffentlichung „The Pristine Sound Of Root 70“. „Es gibt bestimmte Phasen, in denen man sich auf gewisse Aspekte konzentriert“, bestätigt Nils Wogram. Diese Ähnlichkeiten zwischen beiden Platten werden zwar nicht forciert, aber bewusst zugelassen. Denn immerhin geht es um Menschen, die sich mit ihrer Stimme manifestieren. Wozu bräuchte man auch eine Stimme, wenn man mit dieser nicht erkennbar wäre? „Im Lauf meines musikalischen Weges musste ich lernen, dass sich im musikalischen Prozess viele Dinge verselbständigen. Eine gute Umsetzung des besten Konzepts wird uninteressant, sowie die Tiefe fehlt.“ Das trifft natürlich auch auf die Musiker zu, mit denen ein Komponist und Visionär wie Nils Wogram zusammenarbeitet. Arno Krijger und Dejan Terzić bringen den Mut auf, Wograms Ideen auf ihre Weise auszulegen, und der Posaunist lässt sie gewähren.
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Kurz, Nils Wogram ist on the walk. Er zeigt uns einen Weg auf, ohne ihn mit letzter Konsequenz selbst beschreiten zu müssen. Die Band bricht gemeinsam auf, das Ziel muss der Hörer selbst finden. Es mag wie ein Paradoxon klingen, denn jedes Album von Wogram war und ist ein Nils-Wogram-Album, und doch bekommt man auf jeder neuen Platte des Posaunisten mehr Nils Wogram als zuvor. Und genau das trifft auch auf eine so erprobte Formation wie Nostalgia zu, die auf „The Walk“ zu ihrer Essenz gelangt. Ein Weg, der ganz sicher noch lange nicht abgeschlossen ist!
NWOG Records / nwog 066 / LC 77779 / 4015698907735 / Vertrieb: Indigo / Kontor
VÖ: 23.05.2025