Spaces – Together Alone

Spaces – Together Alone

Ein kollektives Wunder ist gelungen: Aufgenommen zwischen dem 28. März und dem 3. Juli 2020 in vier verschiedenen privaten Räumlichkeiten. Alle vier Musiker*innen spielten zur selben Zeit, komplett ohne Hör- und Sichtkontakt, sowie ohne jegliche Absprachen mit Ausnahme der festgelegten Dauer einer Improvisation. Entscheidend war für das Quartett das Musizieren im Bewusstsein und der Vorstellung eines gemeinsamen Zusammenspiels. Die jeweiligen Einzelaufnahmen wurden konsequent mit dem kurzen Signal-Ton aller Musiker*innen zu Beginn einer jeden Aufnahme zusammengelegt.

Alles auf „Together Alone“ ist frei improvisiert, doch anders als im landläufigen Free Jazz erstrecken sich die Tracks nicht über gefühlte Ewigkeiten, sondern beschwören die hohe Kunst der Kürze. Die zwanzig vorliegenden Tracks sind eine Auswahl aus einem gigantischen Konvolut von Stücken, die zwischen März und Juli 2020 entstanden sind.

Im Jazz, so heißt es, gehe es um spontane Kommunikation. Nun können Menschen so oder anders kommunizieren, und gerade der Lockdown zwingt uns, ganz neu über Kommunikation nachzudenken. Das Hannoveraner Kollektiv Spaces geht noch viel weiter und veröffentlicht das wohl erste Album der Jazzgeschichte, auf dem vier Musikerpersönlichkeiten interagieren und dabei nicht nur nicht kommunizieren, sondern jede direkte Kommunikation kategorisch ausschließen. Geht das?

Lassen wir die Antwort auf diese Frage für einen Moment offen und fangen den Text noch einmal ganz von vorn an. Das große Portal öffnet sich, Saxofon, Kontrabass und Piano schweben auf einem hauchdünnen Teppich des Schlagzeugs hinaus in die Frühlingssonne. Alle vier Instrumente umtanzen einander wie Schmetterlinge, die immer in Bezug zueinander stehen, ohne sich gegenseitig zu berühren. Bewegungsmuster entstehen und verflüchtigen sich, die Klangchoreografie entfaltet ihre eigenen Bilder aus der impulsiven Flexibilität der Komponenten. Der gut aufeinander eingespielte Zauber dauert nicht länger als drei Minuten und zwanzig Sekunden, und wie in einer Galerie der bewegten Bilder gleitet das Ohr zum nächsten impressionistischen Klangfarbenspektakel.

Spaces ist ein absolutes Mysterium. Die Band beschreibt Zustände, die ein weites Spektrum emotionaler Reaktionen heraufbeschwören. Alles bleibt im Torsohaften. Doch da sich die Beteiligten bei den Aufnahmen nicht nur nicht begegnet sind, sondern außer genauen Zeitangaben für Start und Ende auch keine weiteren Verabredungen stattfanden, grenzt es fast an Magie, dass dabei so stringente Musik herauskam. Niemand wusste, was passieren würde. Coronabedingt befanden sich alle vier Mitverschworenen in ihrem jeweils separaten Space. Es gab ein Startsignal, aber niemand wusste, was die jeweils drei anderen Protagonisten tun würden. „Wie das funktioniert?“, fragt Initiator und Saxofonist Andreas Burckhardt. „Darüber kann man nur Vermutungen anstellen. Eine Voraussetzung bestand darin, dass wir uns menschlich und musikalisch kannten. Jeder wusste, wie die anderen spielen.“

 

Alles auf „Together Alone“ ist frei improvisiert, doch anders als im landläufigen Free Jazz erstrecken sich die Tracks nicht über gefühlte Ewigkeiten, sondern beschwören die hohe Kunst der Kürze. Die zwanzig vorliegenden Tracks sind eine Auswahl aus einem gigantischen Konvolut von Stücken, die zwischen März und Juni 2020 entstanden sind. Jeder einzelne Track spiegelt eine einmalige, nicht wieder abrufbare Situation wieder, die auf vierfacher Konzentration auf ein für die Beteiligten im Augenblick der Entstehung unhörbares Ganzes beruht. Fertig eingespielt, wurden die vier Stimmen übereinandergelegt, komplettiert angehört und dann einer gemeinsamen Bewertung unterzogen. „Bei frei improvisierter Musik besteht ja immer die Gefahr der Beliebigkeit“, räumt Bassistin Clara Däubler ein. „Diese Gefahr sah ich auch, als Andreas dieses Experiment vorschlug. Ich dachte, wenn man sich nicht gegenseitig hört, kann das nur beliebig werden. Aber beim Hören der fertigen Stücke wurden wir eines besseren belehrt.“

Am Anfang stand ein Experiment. Würde Andreas Burckhardts Idee funktionieren? Er probierte sie zunächst mit Pianist Eike Wulfmeier aus, doch binnen einer Woche komplettierten Clara Däubler und Drummer Willi Hanne Spaces zum Quartett. Das Mysterium dieser ungewöhnlichen Einspielungen lag in der Präsenz. Es war nicht beliebig, zu welchem Zeitpunkt die Vier ihre jeweiligen Spuren einspielten. Alles passierte im Bewusstsein, dass die Band an unterschiedlichen Orten in Echtzeit spielte, nur eben ohne sich zu hören. Dabei konnte es durchaus auch mal passieren, dass der Eine oder die Andere eine ganze Weile überhaupt nicht spielte, im Vertrauen darauf, dass der Rest des Quartetts sich gerade auf seinen Instrumenten austobte. Die fertigen Solospuren gingen an Willi Hanne, der sie übereinander legte. Und wie von Clara Däubler beschrieben, war das fertige Ergebnis oft ganz anders als die vierfach variable Erwartung. „Wir bewegten uns zwischen Zufall und Magie“, fasst Burckhardt zusammen. „Sicher hat Glück eine gewisse Rolle gespielt, damit es so zusammenkommen konnte. Aber in seinem Buch ‚Effortless Mastery’ sagt Kenny Werner, es gibt einen Space. Und in diesem Space kann man verbunden sein. Ich glaube an eine spirituelle Verbundenheit, die über das Konkrete, das man täglich mitnimmt, hinausgeht und vielleicht eine andere Art der Kommunikation beschreibt.“

Womit sich auch der Bandname Spaces erklärt. Letzten Endes ist der Prozess des Zustandekommens dieser 20 Tracks völlig egal, denn im Ohr sammelt sich nur, was man hört. Ohne den Lockdown wäre es wahrscheinlich nie zu dieser Konstellation gekommen, denn unter normalen Umständen hätten sich Burckhardt, Däubler, Wulfmeier und Hanne niemals die Zeit für diese täglichen Sessions genommen. Doch was flüchtig besehen wie eine Tugend in der Not anmutet, ist letztlich die Quintessenz jeder ernst gemeinten Kunst, nämlich in der Krise kreative Auswege zu finden, die uns auch über die Zeit der Einschränkungen hinaustragen.

Spaces ist ein kollektives Wunder gelungen. Ein Album wie „Together Alone“ hat es noch nie gegeben. Im besten Fall ist die Kunst der Gesellschaft immer ein Stück voraus. In einem scheinbar sinnentleerten Raum neue und alternative Wege der Kommunikation zu entwerfen, die uns nicht von den bekannten Internetriesen vorgegeben werden, und diesen auch noch eine betörende Sinnlichkeit zu verleihen, ist schon fast nobelpreisverdächtig.

www.spaces-jazz.de

Schoener Hören Music/ LC 10944 / CD: 4260314033712 / digital: 4260314033729

Vertrieb: Hey!blau

Veröffentlichung. 11. Juni 2021

Fotos I Cover